“Bleiben wir bitte sachlich!”

Gefühle haben etwas Überwältigendes. Sie entstehen im Augenblick, da sie Reaktionen auf etwas sind, das uns zustößt bzw. auf eine Situation, die sich einstellt. Von dieser Situation können positive Gefühle ausgehen: Freude, Glück oder Hoffnung; oder auch negative Gefühle: Angst, Enttäuschung, Trauer oder Zorn bzw. Wut. Und das kann (Mit-)Menschen manchmal ziemlich überfordern. Privat, aber auch im Arbeitsalltag. Und wenn in einem Konflikt oder nach unpopulären Entscheidungen dann die Aufforderung kommt, “doch bitte mal sachlich zu bleiben”, funktioniert das meistens nicht. Das haben wir alle schon mal erlebt.

Wir sind in einer Tradition – der westlichen Welt – aufgewachsen und zivilisiert worden, die seit Anbeginn das Denken eher über das Fühlen stellt. Verstand (Vernunft) und Gefühl, das ist ein Gegensatz, der oft mit einer Wertung verbunden ist; nämlich mit der Ansicht, dass unsere Gefühle durch unseren Verstand gezügelt, gezähmt werden sollen. Doch wenn Gefühle ins Spiel kommen, setzt der rationale Verstand meistens aus.

Räumlichkeit

Gefühle sind immer auf etwas (oder jemand) gerichtet und haben deshalb auch eine Räumlichkeit. Dies drückt sich in den Präpositionen aus, die wir verwenden: Wir haben Angst vor etwas oder jemandem, wir schämen uns vor jemandem für etwas, wir freuen uns (oder trauern) über etwas, wir sind zornig auf jemanden oder über etwas oder ärgern uns über jemanden oder etwas. Ebenso leiden wir – auch dies ist ein emotionaler Zustand – unter einer bestimmten Situation.

Wie kann man mit Emotionen im Arbeitsalltag umgehen?

In jedem Fall ist es wichtig, beispielsweise im Falle eines Konflikts oder einer unangenehmen Situation in einem Meeting, den Emotionen Raum zu geben, sie anzuerkennen. Das kann in einem Meeting durch eine „Meinungsrunde“ passieren. Jeder und jede hat reihum 2 Minuten Zeit (Zeit wird mitgestoppt), alles zu artikulieren, was ihm oder ihr zu einem Thema am Herzen liegt. Dabei wird weder kommentiert, noch bewertet. Jeder hört dem anderen zu, ohne zu unterbrechen. Das nimmt unmittelbaren Druck heraus. Manchmal braucht es noch eine zweite Runde, in der man dann durchaus die Fragestellung noch verändern kann: z.B. „Was müsste passieren, dass es noch schlimmer wird, als es gerade ist“ oder „Was brauche ich, damit ich heute wenigstens halbwegs gut aus diesem Meeting gehen kann“. Für die Führungskraft liefern diese Runden zusätzlich Informationen, die für die Kommunikation und Umsetzung einer Entscheidung oder nächster Schritte sehr relevant sein können. Zudem wird transparent, was die MitarbeiterInnen wirklich denken und fühlen.

Jedoch muss man als Führungskraft vielleicht auch mal aushalten, trotz Meinungsrunden ohne Lösung aus einem emotionalen Meeting zu gehen. In kurzen Einzelgespräche ein oder spätestens zwei Tage später kann man dann dazu beitragen, langsam gemeinsam wieder eine konstruktive Sicht einzunehmen: jeder hat sich wahrgenommen und gehört gefühlt, es ist alles gesagt. Also kann nun langsam auch an Lösungen gedacht werden, nachdem die ersten Emotionen abgeflaut sind.

Dr. Klaus Neundlinger & Karin Weigl

Begegnung bringt Produktivität.

Kürzlich war ich wieder einige Tage bei einem produzierenden österreichischen Unternehmen. Das Ziel der neuen Geschäftsführung dort ist es, die Produktivität zu steigern. Das, was mir als erstes auffiel waren die geschlossenen Türen im ganzen Unternehmen. Die Gänge waren leer und was sich hinter den Bürotüren abspielte war ruhig und nicht erkennbar. Selten sah man die eine oder andere Person zwischen zwei Zimmern hin und her gehen, oder auf dem Weg zum Kaffeebereich. Aber niemand hielt sich am Gang auf, selbst in der Kaffee-Ecke waren nur äußerst selten Leute zu finden. Schon gar nicht in Grüppchen zu gegenseitigem Austausch und Begegnung.

Ich war überrascht, denn so extrem hatte ich es noch nicht erlebt. Solche Entwicklungen der Unternehmenskultur sind immer auch Zeichen der Führung und – nach Gesprächen mit dem Management-Team – waren die letzten Jahre geprägt von Aussagen und Sichtweisen wie „wenn ich nicht an meinem Arbeitsplatz bin, dann arbeite ich nicht.“ Das soll sich nun im Unternehmen ändern, aber so einfach ist das auch wieder nicht, denn eine solche Führungskultur lässt sich nicht von heute auf morgen „ausradieren“ wie einen schlecht gesetzten Strich in einer Zeichnung. Dazu braucht es Zeit und Raum, damit Begegnung stattfinden kann.

Raum für Begegnung?

In vielen Organisationen stellt man sich bei allen Themenstellungen die Frage: „was kommt dabei heraus“? Ist es messbar und kann es in einem konkreten Beitrag für das Unternehmen festgemacht werden?  Bei einer solchen Betrachtung schneidet der Aspekt Begegnung wohl oberflächlich gesehen schlecht ab, denn Begegnung ist de facto nicht direkt messbar. Zwanglose stattfindende Begegnung wurde oft zugunsten von (vermeintlicher) Effizienz wegrationalisiert. Und dennoch trägt sie einen wichtigen Beitrag zur Produktivität bei. Denn bei informellen Gesprächen findet ein Informationsaustausch statt, Informationen am „schnellen Dienstweg“ werden weitergegeben, die das Schreiben eines e-Mails ersetzen. Vertrauen entsteht, das ein Arbeiten ohne dauernde Absicherung benötigt. In der modernen Bürogestaltung geht der Trend genau dorthin, nämlich offenere Büros zu haben und viele verschiedene kleine Inseln um sich zusammenzusetzen und treffen zu können.

Zeit für Begegnung?

Ein zweiter Faktor ist wesentlich für eine gelingende Begegnung und das ist die Zeitqualität: dürfen wir uns für Treffen und Gespräche offiziell Zeit nehmen? Begegnung braucht das Gefühl der Sicherheit, damit sie stattfinden kann, dass Gefühl, dass wir uns Zeit nehmen dürfen miteinander zu sprechen und in Austausch zu gehen. Dort, wo wir uns dbzgl. unsicher fühlen vermeiden wir sie und ziehen uns zurück. Im Business-Kontext gibt es dafür nach wie vor oft zu wenig Zeit – abseits von Meetings. Und auch die Unternehmensführung versucht vielerorts Begegnung zu fördern. Allerdings muss sie dazu selbst sichtbar und greifbar werden – sich Zeit zu nehmen auf die Mitarbeiter zu zugehen. Denn Begegnung findet immer statt – und sei es nur durch kleine Zeichen in der Körpersprache – oder eben durch völlige Abwesenheit.

Entwicklung durch Begegnung.

Schon bei kleinen Kindern sieht man, wie wichtig Bezugspersonen sind, um sich zu entwickeln. Und auch später, im Erwachsenenleben hört diese Entwicklung nicht auf, sie verändert sich nur, wird möglicherweise bewusster. Edmund Husserl, deutscher Philosoph und Phänomenologe meint, wir brauchen den anderen um ein Selbstverständnis bekommen zu können. Die andere Person löst also etwas aus in uns, mit dem wir sonst vielleicht nicht in Berührung gekommen wären. Sie bietet uns Anstoß nachzudenken, zu reflektieren, unser Verhalten zu beobachten, uns weiterzuentwickeln, reifer und bewusster zu werden.

Verschiedene neue Organisationsformen und Arbeitsmodelle nutzen Zeit und Raum für (Selbst-)Reflexion als einen wesentlichen Eckpfeiler ihrer Unternehmenskultur: die Begegnung mit sich selbst und mit anderen. Um Reflexion in der Gruppe möglich zu machen, braucht es Vertrauen und das entsteht auch nicht von heute auf morgen, sondern baucht Zeit und Raum. Bewusstheit über Begegnungen erfolgt erst über die Reflexion: wie war mein Umgang mit anderen? Was war mein Beitrag zu einem Gespräch? Wie reagieren die anderen auf mich? Auf welche Weise verhalte ich mich mit verschiedenen Menschen unterschiedlich?

Produktivität folgt Erkenntnis folgt Begegnung.

Es muss aber auch nicht eine andere Organisationsform sein, die Austausch fördert und möglich macht. In der eingangs beschriebenen Organisation sucht der neue Firmenchef regelmäßig Gespräche mit den MitarbeiterInnen und zwar nicht nur auf Führungsebene. Das Feedback der Menschen im Unternehmen zeigt, dass sie nun endlich das Gefühl haben, gehört zu werden, ernst genommen zu werden und, dass sich etwas bewegt. In einer Befragung verschiedener MitarbeiterInnen kam heraus, dass die Motivation und Produktivität in den letzten Monaten messbar gestiegen ist und dass sei vor allem dem Interesse der Geschäftsführung an den MitarbeiterInnen geschuldet. Und auch für den Firmenchef brachten diese Gespräche viele Erkenntnisse und ein tiefes Wissen und Verständnis für die Organisation. Erkenntnisse, die wesentlich sind, um das Unternehmen durch den aktuellen Wachstums- und Veränderungsprozess manövrieren zu können und die Produktivität im Schulterschluss mit den MitarbeiterInnen zu steigern.

Karin Weigl

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Strategie Ping-Pong

Hattest du schon deinen jährlichen Strategie-Workshop mit deinem Team oder in deinem Unternehmen? Und wenn ja, wie zufrieden bist du mit dem Ergebnis? Und was unterscheidet die Strategie 2019 konkret von den Jahren davor?

Unter Strategie verstehen offenbar viele Menschen unterschiedliche Dinge. Oftmals erleben wir vor allem eine Verkürzung des Begriffes der Strategie auf den des Zieles. Dabei wird übersehen, dass auch der Weg, wie man ans Ziel gelangen kann, von Bedeutung ist. Strategie besteht aus beidem: den Zielen und den Mitteln, um die Ziele zu erreichen. Im Sport ist ganz klar, wie die Verbindung aussehen muss. Das Ziel ist meist, zu gewinnen oder zumindest ganz weit vorne zu landen. Dazu wählt man unterschiedliche Mittel. In der Formel 1 geht es zum Beispiel um die Wahl der richtigen Reifen oder die Anzahl Boxenstopps. Beim Schifahren geht es um den Einsatz der Kraft und das entsprechende Material zur Pistenbeschaffenheit.

Starrer Plan

Im Business geht es auch zuerst mal um die Ziele, denn diese sind messbar und daher eine Kennzahl für den Unternehmenserfolg. Der zweite Teil der Strategie, also wie diese erreicht werden sollen, wird meist in der Wichtigkeit nachgereiht und besteht oft – provokant gesagt – aus Planungsphantasien der oberen Führungsebene. In vielen Unternehmen findet die Strategieentwicklung sehr mechanistisch statt. Es wird etwas entwickelt, und ändern sich die Umstände, wird an dem, was entwickelt wurde, festgehalten. Oder es wird radikal alles über Bord geworfen und aktionistisch nach einem neuen Plan gesucht. Gerade in Krisenzeiten werden gerne kurzfristige Strategien in Angriff genommen, die langfristigen Pläne und Ziele rücken in den Hintergrund oder werden komplett verworfen.

So erlebt in einem internationalen Konzern, als plötzlich Ziele und Strategien auf Eis gelegt wurden, Mittel drastisch reduziert wurden und aus New York Vorgaben kamen, die für den lokalen europäischen Markt als kontraproduktiv wahrgenommen wurden. Damit wurde auch implizit die Expertise der lokalen Experten abgewertet, denn jemand anderer wusste es besser. In Diskussionen zwischen dem lokalen Management und den für den Strategie-Roll-Out zuständigen Leuten in den USA begannen sich die Perspektiven zu verhärten.  Die Vorgaben wurden lokal nur halbherzig bis gar nicht umgesetzt, weil sich die MitarbeiterInnen damit nicht identifizieren konnten, sie das Gefühl vermittelt bekamen, dass ihr Wissen und ihre Erfahrung nichts wert seien und sich ihnen der Sinn der Vorgaben nicht erschloss. Stattdessen entwickelte sich so etwas wie eine lokale Schattenstrategie: berichtet wurden pro-forma-Zahlen, angepasst an die gewünschten Entwicklungen, und gemacht wurde im Hintergrund ganz etwas anderes…

Wie kann man sicherstellen, dass die Strategien auch seitens der MitarbeiterInnen voller Commitment umgesetzt werden?  Und was tun, wenn der Wind der Veränderung Ziele und Strategien durcheinanderwirbelt?

Ping-Pong

Ein Schlüsselaspekt für eine funktionierende Strategie ist das Einbinden all derjenigen, die die Unternehmensziele mittels der Strategien erreichen und die Maßnahmen umsetzen müssen. Also weg von einer mechanistischen, linearen Planung hin zu einem komplexeren Prozess, auf den sich die Führung jedoch auch einlassen muss. Dieser Prozess muss demnach an verschiedenen Stellen in der Organisation gleichzeitig gestartet werden. Das ist vergleichbar mit einem Ping-Pong-Spiel: Der Ball (in diesem Fall die Strategie) wird zwischen Experten aus den verschiedensten operativen Bereichen und Hierarchieebenen hin- und her gespielt, immer wieder hinterfragt, immer wieder durch Neues angereichert und an neue Gegebenheiten angepasst.

Dabei kann sich jeder einbringen und auf Veränderungen aufmerksam machen. Das erzeugt Identifikation und Sinn bei den Mitarbeitenden. Auf Sicht geht es darum, einen Mittelweg zwischen vorgeben und einbinden zu wählen und dabei flexibel zu bleiben, um auf Unerwartetes reagieren zu können. Und das alles natürlich immer in Abgleich mit dem Big Picture, dem großen Bild und dem übergeordneten Ziel.

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Führen mit Durchblick

Perspektive kommt vom lateinischen Verb perspicere, das bedeutet „durchsehen“, „durchblicken“ und  sie war der Begriff, dem wir vor kurzem ein Wiener Leadership Breakfast widmeten.
Mittels dieses Durchblickens wird nicht nur sichtbar, was sich im Raum befindet, sondern auch das Dazwischen, der Raum selbst. Die Perspektive öffnet den Raum in zweierlei Hinsicht: (1) Durch das Betrachten werde ich mir bewusst, dass ich selbst einen Standpunkt einnehme. (2) Ich erkenne im Raum eine Anordnung, d.h. die Art, wie Menschen, Dinge und Standpunkte sich zueinander verhalten. Wer oder was ist größer, kleiner, nahe, fern, in der Mitte, am Rand?

Im Auge des Betrachters

Die abendländische Kunst hat in der Renaissance einen Coup gelandet, indem sie die Zentralperspektive[1] eingeführt hat. So wurde der dreidimensionale Raum auf der zweidimensionalen Fläche der Leinwand sichtbar, spürbar. Die bildliche Darstellung erlangte eine bis dahin ungekannte Tiefe. Damit gelang es, den Anspruch einer objektiven Ordnung mit der Tatsache in Einklang zu bringen, dass diese objektive Ordnung immer vom Auge der Person abhängt, die den Raum betrachtet.[2]

Vogel- und Froschperspektive

Geht es nicht im Alltag der Organisation genau darum? Hinter all den verschiedenen Blickwinkeln, Betrachtungsweisen und Standpunkten das Verbindende zu entdecken? Einen Ausgleich zu schaffen zwischen der Vogelperspektive der strategischen Entscheidungen der Führungsebene und der Froschperspektive der konkreten Umsetzung in den Abteilungen, den Teams, in der Arbeit der einzelnen MitarbeiterInnen? Wer würde theoretisch nicht zustimmen, wenn gesagt wird, dass alle Perspektiven wichtig sind? Aber wie sieht es in der Praxis aus?

Die Perspektive der anderen einzunehmen ist eine Kompetenz, die man sich aneignen muss. Und die man immer wieder üben muss. Die Geschichte des Films hat uns gezeigt, wie vielschichtig man das Thema Perspektive angehen kann und dass Perspektive nicht nur eine Frage des Raumes ist, sondern auch der Zeit. Der Schnitt entscheidet über den Wechsel und die Aufeinanderfolge der Perspektive, er gibt den Perspektiven einen Rhythmus. Und damit wird immer etwas zum Ausdruck gebracht: eine eher objektive oder eher subjektive Sicht der Dinge zum Beispiel.

Existenzgrund und Fluchtpunkt

Die Perspektive als Möglichkeit der Anordnung in Raum und Zeit ist auch für Organisationen höchst bedeutsam: Welche Ziele sind zentral, wie sind die einzelnen Ziele aufeinander bezogen, hinsichtlich Priorität, aber auch inhaltlich? Wie können diese Ziele erreicht werden? Und wie hängen sie zusammen, in welcher Beziehung stehen sie zum Existenzgrund, zum Unternehmenszweck? Dieser liegt immer außerhalb des konkreten Bildes, das eine Organisation abgibt, es ist der imaginäre Fluchtpunkt, in dem alle Anstrengungen zusammenlaufen.

Leider kommt es immer öfter vor, dass in Chefetagen von großen Unternehmen keine langfristigen Perspektiven entwickelt werden – und zwar nicht nur hinsichtlich der geschäftlichen Belange, sondern vor allem für die MitarbeiterInnen. Frustriert verlassen einst motivierte, leistungsbereite Kräfte diese Organisationen, weil sie keinen Sinn in ihrer Tätigkeit finden können, weil sie in ihrer Perspektive nicht wahrgenommen werden, diese nicht wirksam einbringen können.

Standpunkt und Haltung

Führen wird in dieser Hinsicht zu einer äußerst schwierigen Aufgabe, denn oft muss man strategische Ziele vermitteln, die in Widerspruch zu den Erfahrungen und Standpunkten vieler MitarbeiterInnen stehen. Dennoch sollte eine Führungskraft sich immer überlegen, wie sie Perspektiven geben kann, die nicht zwangsläufig durch ihre Sichtweise und die eigenen Erfahrungen gefiltert sind. Sie sollte ihren Standpunkt klar zum Ausdruck bringen und dennoch nicht so handeln, als ob es der einzig mögliche, der einzig denkbare ist. Das ist eine Frage der Haltung: Wie geht man mit den MitarbeiterInnen um, wie schaut man auf sie?

Autor: Dr. Klaus Neundlinger

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Perspektive

[2] Erwin Panofsky: Die Perspektive als „symbolische Form“. http://www2.uni-jena.de/philosophie/medien/guenzel/pdf/Panofsky_Perspektive%20%281927%29.pdf

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Sind Traditionen Innovationskiller?

Nachlese zur Wiener Leadership Night am 21. Februar 2018

Wir Menschen sind Gewohnheitstiere und orientieren uns gerne an Bewährtem. Daran ist grundsätzlich auch nichts falsch, denn Bewährtes gibt uns Sicherheit.

Immer wieder sind wir in den Projekten bei unseren Kunden mit dem Ausspruch „das haben wir immer schon gemacht, das passt anders für uns nicht“ konfrontiert. Und das hat uns die Frage stellen lassen, ob Traditionen denn Innovationskiller in Unternehmen sind. Ob sie Neuerungen behindern oder in welcher Hinsicht sie auch Veränderung und Innovation fördern können. Und was zu beachten ist, damit Traditionen den Fortschritt fördern statt zu behindern.

Der Frage nachgehend „Sind Traditionen Innovationskiller?“ hatten wir zu unserer ersten Wiener Leadership Night in diesem Jahr 4 VertreterInnen österreichischer Traditionsunternehmen eingeladen.

Unsere Gäste.

Unsere Gäste an diesem Abend waren Georg Gaugusch, Chemiker, Historiker und Geschäftsführer des traditionsreichen Tuchwarenhändlers Wilhelm Jungmann und Neffe, der das Unternehmen 2005 von seiner Mutter übernommen hatte, Doris Wallner-Bösmüller, Geschäftsführerin von Bösmüller Printmanagement, die 2009 die Firmennachfolge ihrer Eltern antrat und Johannes Hornig, der mittlerweile in 5. Generation seit 7 Jahren das Familienunternehmen J. Hornig Kaffee weiterführt. Die vierte im Bunde war Dr. Ingrid Thür, Leiterin Controlling und Procurement bei der Austro Control, die den Faktor „traditionsreiches Großunternehmen“ vertrat und aus den Veränderungen in Mindset und Arbeitsweise der Austro Control berichtete, die erst 1994 aus der ehemaligen Bundesluftfahrtbehörde hervorging.

Tradition – aus dem Lateinischen kommend – bedeutet Übergabe, Weitergabe von Überzeugungen und Handlungsmustern. Gemeinsame Überzeugungen und Handlungsmuster sind auch ein Aspekt, der uns Menschen in unseren Fähigkeiten von Tieren unterscheidet, wenn es um Interaktion und in weiterer Folge auch um Beziehungen und Zusammenarbeit geht (siehe auch Yuval Noah Hararis Buch Homo Deus )

Umgang mit Tradition.

Traditionen – und vor allem die Verhaftung in Traditionen – bestimmt auch die Kultur in Unternehmen. So berichtete Ingrid Thür zum Beispiel, wie wichtig Traditionen und bewährte Handlungsmuster für eine Organisation wie der Austro Control seien: „gerade, wenn es um Flugsicherheit geht, erwarten wir uns als Konsumenten, dass bewährte Handlungsmuster seitens der Flugsicherung oder der Piloten zum Tragen kommen.“ Das sei auch ein wesentlicher Teil der Ausbildung. Auf der anderen Seite dann wieder die Gratwanderung, wenn es um Innovation im Unternehmen ginge und Arbeitsschritte dann plötzlich von manuellen zu automatisierten und computerunterstützen Abläufen würden. Es sei also wichtig, sorgsam mit Veränderung umzugehen und Bewährtes und Neues miteinander zu verbinden.

Traditionen müssen nicht unbedingt Innovationskiller sein: man muss aber sorgsam schauen, dass sie Innovation nicht verhindern: „so haben wir es immer schon gemacht“ bedeutet den Blickwinkel zu verlieren für das, was verändert werden muss. In der Austro Control war es beispielsweise für manche schwer verkraftbar, als 1994 der Adler als Firmenzeichen abmontiert wurde und es gab einen Mitarbeiter, der bis 2000 den Adler stempelte, obwohl es schon lange nicht mehr zur Vorgehensweise gehörte.

Umgang mit Trends.

Auf die Frage, ob man Trends folgen müsse, meinte Georg Gaugusch, dass man selbst die Trends setzen müsse, wenn man ihnen „nur folge, wäre man bald tot.“ Auch ginge es um Entscheidungen, wie z.B. ob man sich dem Preisdruck oder Sortimentsdruck hingeben wolle – eben dem was die meisten machen in einer Branche. Als Beispiel brachte er die Entscheidung im sehr hochpreisigen Segment zu bleiben – wie auch schon früher – weil ja auch die Ware exzellente Qualität habe, die man nur in vereinzelten Geschäften bekommen könne. Es gehe also auch darum, eine klare Linie zu haben und bei dieser zu bleiben und keine Kompromisse zu machen, nur weil es vielleicht gerade alle anders machen. Das habe sich bei Wilhelm Jungmann und Neffe seit vielen Generationen bewährt.

Fingerspitzengefühl.

Doris Wallner-Bösmüller unterstrich die Herausforderung, Handlungsmuster und Traditionen, die beispielsweise die Eltern gelebt hatten und für sie in dieser Form nicht mehr gepasst haben, zu verändern: „Da braucht es Fingerspitzengefühl und man muss auch schauen, wie man dennoch mit manchen Traditionen leben kann, denn abseits der Firma bleibt man schließlich Familie. Manchmal ist es auch Zeit, zu entrümpeln. Man kann nie alles auf einmal ausreißen. Wie ein Rückschnitt in einem Garten: man muss schauen, in welchen Trieben noch Kraft ist. Also auch zu differenzieren, was bringt uns noch was und was bringt uns nichts, seien das Geschäftszweige, Abläufe und manchmal leider auch MitarbeiterInnen.“ So habe sie zum Beispiel das Fehlerbewusstsein im Unternehmen verändert: „Es gibt Hintergründe warum etwas passiert – es gibt keinen Schuldigen, sondern es geht um Lösungen und dem Lernen aus den Fehlern.“

Regulative.

Gleichzeitig mit Johannes Hornigs Firmenübernahme kam 2011 auch ein neuer deutscher Mehrheitsgesellschafter mit an Bord. Eine komplett neue Situation für das Unternehmen und seine Mitarbeiter, nachdem Hornig Kaffee bis dahin rein in Familienbesitz war. Es gab einige Mitarbeiter, die diese Veränderung nicht mittragen konnten, sagte Johannes Hornig. Für ihn brachte der neue Miteigentümer aber durchaus auch viele Möglichkeiten, Innovation ins Unternehmen zu bringen, das Unternehmen neu zu positionieren, aber auf der traditionsreichen Marke aufzubauen und sie zu „verjüngen“. Auch bei Hornig gäbe es aus der Tradition heraus lange Firmenzugehörigkeiten und manchmal wünsche er sich mehr Input seitens seiner MitarbeiterInnen, meinte er. Die Hierarchie im Unternehmen sei recht flach geworden, um genau das Einbringen der Menschen zu fördern. Manchmal wäre es aber auch gar nicht so den Internas in einem Unternehmen zu schulden, dass Innovation schwergemacht würde, meinte Hornig. Österreichs Regulative würden Innovation auch nicht gerade fördern – im Vergleich zu vielen anderen Ländern, wo Unternehmern Veränderungen oder Neuerungen leichter gemacht würden.

Die Aufgabe der Führung im Umgang mit Traditionen.

Das Alte und Bestehende im Unternehmen wertzuschätzen und darauf aufzubauen, ist die Aufgabe der Führung. Eine Unternehmenskultur, die stark von einer lang etablierten Tradition geprägt ist, lässt Junge und Ältere an Fronten geraten. Es braucht dazu auch die Bereitschaft der erfahrenen Generation, sich zu öffnen und Arbeit und Tun auch aus anderen Blickwinkeln zu betrachten sowie den neuen Sichtweisen der jungen MitarbeiterInnen Raum zu geben, Alt und Jung voneinander lernen zu lassen.

Traditionen sind wichtig, vor allem, wenn es um eine stabile Zukunft geht. Und dann stellt sich vor allem auch die grundsätzliche Frage: wo wollen wir als Unternehmen hin und aus welchem Geist heraus soll das passieren? Ein klare Kommunikation über die Sinnhaftigkeit mancher Veränderungen wäre ein essenzieller Bestandteil im Umgang mit dem Brechen von Traditionen. Die Unternehmen, die eine ausgewogene Balance zwischen beiden schaffen sind wahrscheinlich die erfolgreichsten. Dieser Ansicht waren sich alle unsere Podiumsgäste einig.

Karin Weigl

Fotocredit: Eigenproduktion, Simone Rack, 4dimensions GmbH

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