Wenn langsam die Bindung zum Unternehmen verloren geht…

Wenn MitarbeiterInnen monatelang ohne physische Nähe miteinander aus dem Home-Office arbeiten, geht auf die Dauer etwas Wichtiges verloren: der informelle Kontakt unter den Menschen. Er ist der Kitt, der das Unternehmen zusammenhält und einen wichtigen Beitrag zu Motivation und Produktivität leistet.

Alleine zu Hause – alleine im Büro

In „normalen Zeiten“, also in denen wir nicht mit Einschränkungen durch CVOVID-19 konfrontiert sind, ist das alles kein Problem. Denn Home-Office ist meist eine freiwillige Sache und wir sind verhältnismäßig frei, wie wir die Zusammenarbeit remote gestalten. In Zeiten wie diesen, in denen es Kontaktbeschränkungen gibt, Unternehmen ihre Leute verstärkt ins Home-Office schicken und forcieren, dass diese von zu Hause arbeiten, ist es anders. Zwar ist es immer noch bis zu einem gewissen Grad freiwillig, denn man darf ja grundsätzlich ins Büro gehen, um dort zu arbeiten, aber aufgrund der Kontaktbeschränkungen trifft man in vielen Unternehmen nur sehr vereinzelt auf Leute. Wenn in den Büros niemand ist, wenn die Kaffeeküchen als Kommunikationszentren gesperrt sind, Kantinen geschlossen und eine leibliche Versorgung nur durch Automaten gewährleistet ist, dann kann man ja auch gleich zu Hause bleiben, sagen MitarbeiterInnen. Denn alleine – oder so gut wie alleine – im Büro zu arbeiten bringt für viele keinen erkennbaren Mehrwert – zumindest keinen sozialen. Und gerade diese sozialen Einschränkungen gehen nicht spurlos an den MitarbeiterInnen vorbei. Sie beeinträchtigen dauerhaft die Bindung zur Firma.

Worauf sollten demnach Organisationen achten, damit ihre MitarbeiterInnen sich weiterhin dem Unternehmen verbunden fühlen?

Der informelle Austausch fehlt immer mehr…

Während vielerorts die Leistungsfähigkeit im Home-Office steigt, weil Wege und Pausen wegfallen und alleine dadurch schon mehr gearbeitet wird, beginnt im Gegenzug die Motivation zu sinken. Grund dafür ist der fehlende informelle Austausch untereinander. Ein Austausch, der in den Kaffeeküchen, bei den Rauchpausen, in den Gängen, in der Kantine passiert. Ein Austausch, den man nicht strukturiert steuern kann, weil er zufällig entsteht: man trifft jemand am Gang und spricht ihn oder sie auf ein gerade laufendes Projekt an und fragt nach dem Fortschritt. Dabei erfährt man zufällig, welche Veränderungen es gerade in einem Bereich des Unternehmens gibt. Oder eine andere Situation: in der Kaffeeküche wird das Thema der bevorstehenden Zusammenlegung zweier Abteilungen besprochen. Es wird kritisiert und hinterfragt. Man beschwert sich über die Situation, man lässt Dampf ab und weiß: ich bin mit meiner Meinung nicht alleine. Im physischen Miteinander entsteht eine Spontaneität und Dynamik, die durch Videocalls oder Telefonate nicht ersetzt werden kann.

Spontane und ungeplante Zusammentreffen sowie informelle Informationsweitergabe fallen jedoch weg, wenn jeder für sich von zu Hause arbeitet. Führungskräfte berichten, dass sie zusehends Angst haben, ihre MitarbeiterInnen emotional zu verlieren.

…und auch die informelle Anerkennung

Alleine zu Hause, abgeschnitten vom persönlichen Austausch. Das hat nach den ersten Monaten langsam aber sicher eine gewichtige Auswirkung auf das Zugehörigkeitsgefühl und die Motivation der Einzelnen. Denn was neben der Infoweitergabe beim informellen Austausch im Büro noch dazu kommt, ist die Anerkennung durch KollegInnen. Auch wenn die Führungskräfte vielerorts einen phantastischen Job machen und sich in vielerlei Hinsicht um ihre MitarbeiterInnen kümmern, so brauchen Menschen nicht nur die Anerkennung durch ihre Chefs, sondern auch Feedback von ihren KollegInnen: Aufmunterung in frustrierenden Situationen, Bestärkung, wenn mal etwas nicht so läuft, wie man das gerne hätte, Lob, wenn etwas besonders gut gelaufen ist, Bestätigung, dass es anderen ähnlich geht, wie mir…

Seit dem Lockdown im März 2020 erleben viele MitarbeiterInnen, dass dieses informelle Feedback von jetzt auf gleich auf Null gestellt wurde. „Wenn dieses Feedback langfristig fehlt, dann wird es zum Problem. Denn es schleicht sich das Gefühl ein, dass keiner mehr mitkriegt, was ich tue, woran ich gerade arbeite“, erzählt mir ein Mitarbeiter eines großen österreichischen Unternehmens. Und das hat vor allem auch Auswirkungen auf all jene, die beispielsweise neu im Unternehmen sind und nicht sichtbare werden können oder die Karriere machen wollen und dadurch keine Möglichkeit zur Positionierung haben.

Fixe Anwesenheitsroutinen sind gefragt

All die oben genannten Punkte betreffen vor allem Unternehmen, die keine fixen Anwesenheitsroutinen bzw. in ihren Teams keinen fixen Bürotag pro Woche eingeführt haben, an denen mehrere Personen im Unternehmen sind. Es wäre also sinnvoll für solche Unternehmen nochmal ihre internen Maßnahmen zu prüfen und die Büropräsenz zumindest an 1 Tag pro Woche zu forcieren. Denn so schnell werden die COVID-Beschränkungen nicht gelockert werden, wie es aussieht. Daher haben viele Unternehmen ihre Home-Office Regelungen bis Frühling 2021 verlängert. Das würde dann für die meisten MitarbeiterInnen bedeuten, dass sie im Endefeffekt ein gutes Jahr ohne physischen Kontakt zu ihren Kollegen verbracht haben.

Worauf sollten Unternehmen also achten, um die Bindung ihrer MitarbeiterInnen in Zeiten wie diesen zu fördern?

Sofern es natürlich die COVID-Restriktionen zulassen, ist es wichtig, wieder regelmäßige Kontaktinseln zu schaffen, in denen MitarbeiterInnen einander informell und offline begegnen können. Auch das Öffnen von Kaffeeküchen unter Einhaltung der notwendigen Maßnahmen wäre eine Möglichkeit. Oder informelle Outdoor-Treffen in kleineren Gruppen zu organisieren, in denen man z.B. miteinander spazieren geht.

Der Impact des informellen Austauschs auf Motivation und Produktivität ist nicht zu unterschätzen. Ein dringendes Thema, dem sich Unternehmen und Führungskräfte gerade jetzt aktiv widmen sollten.

karin weigl

Eine einfache Methode, wie du die Qualität der Zusammenarbeit im Team steigerst.

Einer der wichtigsten Schlüssel für eine produktive Zusammenarbeit ist Transparenz und Offenheit. Transparenz bedeutet in erster Linie, offen miteinander über gegenseitige Wünsche und Erwartungen zu sprechen. Dadurch entsteht Klarheit sowie ein gemeinsames Verständnis und es festigt sich das Vertrauen im Team. Und das macht euch so richtig produktiv.

Handlungsspielraum und Erwartungen

Der erste Schritt, um das Vertrauen in deinem Team zu stärken ist, den eigenen Handlungsraum klar zu haben. Und das gilt nicht nur für dich als Führungskraft, sondern in gleicher Weise auch für deine Mitarbeitenden. Denn in deinem Handlungsraum hast du alles zu 100% in deinem Einflussbereich. Hier entscheidest nur du, wie du über dich und andere denkst, ob du dich über etwas ärgerst oder grämst, ob du positiv in die Zukunft schaust oder nicht, ob das Glas halbvoll oder halbleer ist. Es geht vor allem auch darum, für dich zu wissen, wie du die Zusammenarbeit mit deinem Team gestalten möchtest, was Dos und was Don‘ts sind. Was deine Erwartungen und Wünsche an andere sind. Erwartungen werden in Teams sehr selten besprochen, dabei ist es so wichtig darüber zu reden, um mögliche Missverständnisse, Konflikte und falsche Vorstellungen zu reduzieren und aufzulösen.

Klarheit und Mitverantwortung

Neben den Erwartungen geht es auch darum, Klarheit zu haben, was dein Anteil an einer Situation ist oder welchen Beitrag du zu einer Situation leisten kannst. In meiner Arbeit mit Führungskräften höre ich immer wieder Aussagen wie: „ich habe zu diesem mühsamen Thema deshalb nichts beigetragen, weil es mich nervt, dass es immer um das Gleiche geht. Also habe ich an den Meetings nicht mehr teilgenommen, sollen sie das im Team alleine lösen.“

Etwas nicht zu tun, nicht anzusprechen oder sich zurückzuziehen ist auch ein Beitrag. Oft sind wir uns darüber nicht bewusst. Denn in Teams entstehen durchaus Dynamiken, den Fehler zuerst bei jemand anderem zu suchen, als das eigene Verhalten kritisch zu betrachten: was würde sich denn verändern, wenn sich jemand nicht zurückzieht, sondern für die Lösung einer Situation Mitverantwortung übernimmt?

Es gibt drei Punkte, über die du dich mit deinem Team verständigen solltest, damit das Vertrauen noch größer wird und die Qualität eurer Zusammenarbeit steigt.

  • Welche Erwartungen habe ich an mich – und an meine KollegInnen bzw. MitarbeiterInnen?
  • Wofür stehe ich in unserer Zusammenarbeit zur Verfügung und wofür nicht?
  • Was ist mein Beitrag/Anteil an einer Situation und welchen Beitrag habe ich noch nicht geleistet? Was könnte ich in Zukunft anders machen?

Bevor ihr diese Fragen im Team besprecht, ist es wichtig, dass jede und jeder einzelne von euch, sich in Form einer Selbstreflexion dazu Gedanken zu machen.Danach ist es wichtig, dass ihr die Ergebnisse eurer Einzelreflexionen miteinander teilt.

Die 1-Minuten-Runde

Am besten du probierst es im nächsten Team-Meeting gleich aus: mach‘ eine Runde, in der jeder aufgerufen ist, seine Erwartungen an die Zusammenarbeit im Team offen zu legen. Jedes Teammitglied hat kurz Zeit, sich dazu zu äußern. Wichtig ist, wie gesagt, dass alle vorbereitet sind und sich im Vorfeld Gedanken gemacht haben. In der Runde nimmst du dann die Zeit. 1 Minute pro Person. Die Minute deshalb, damit alle die gleiche Redezeit haben und rasch auf den Punkt kommen. Der, der als erster den Impuls hat, beginnt, und dann geht es im Uhrzeigersinn weiter. Als Führungskraft bist du der/die Letzte, die an der Reihe ist. Jeder von euch hört zu und macht sich Notizen. Danach machst du nochmal eine Runde, in der dein Team zu vorangegangenen Wortmeldungen Bezug oder Stellung nehmen kann. Ich empfehle euch, die Wortmeldungen schriftlich kurz und prägnant festzuhalten und danach miteinander zu teilen.

Solche 1-Minuten-Runden kannst du auch machen, um z.B. den eigenen Beitrag für ein Projekt abzufragen (abseits der fachlichen Arbeit, die jeder tut). Also beispielsweise mit der Frage: Was werde ich persönlich dazu beitragen, dass das Projekt gelingt?
Wieder hat jedes Teammitglied 1 Minuten Zeit. Auch hier gilt: jemand protokolliert die Wortmeldungen und verschickt sie danach an alle. Das kann im Laufe eines Projekts ein wichtiger Ankerpunkt sein, auf den ihr euch immer wieder beziehen könnt, wenn es vielleicht grad schwierig ist.

Probiere es einfach aus! Anfangs kostet es vielleicht ein wenig Überwindung, ganz offen über eure Erwartungen zu sprechen. Das legt sich aber rasch. Und du wirst sehen, wie die Qualität eurer Zusammenarbeit und eure Produktivität nach kurzer Zeit durch die Decke geht, wenn du das zu eurer Teamroutine machst. Denn jeder übernimmt Mitverantwortung für das Gelingen der Zusammenarbeit. Viel Erfolg!

Karin Weigl

Begegnung bringt Produktivität.

Kürzlich war ich wieder einige Tage bei einem produzierenden österreichischen Unternehmen. Das Ziel der neuen Geschäftsführung dort ist es, die Produktivität zu steigern. Das, was mir als erstes auffiel waren die geschlossenen Türen im ganzen Unternehmen. Die Gänge waren leer und was sich hinter den Bürotüren abspielte war ruhig und nicht erkennbar. Selten sah man die eine oder andere Person zwischen zwei Zimmern hin und her gehen, oder auf dem Weg zum Kaffeebereich. Aber niemand hielt sich am Gang auf, selbst in der Kaffee-Ecke waren nur äußerst selten Leute zu finden. Schon gar nicht in Grüppchen zu gegenseitigem Austausch und Begegnung.

Ich war überrascht, denn so extrem hatte ich es noch nicht erlebt. Solche Entwicklungen der Unternehmenskultur sind immer auch Zeichen der Führung und – nach Gesprächen mit dem Management-Team – waren die letzten Jahre geprägt von Aussagen und Sichtweisen wie „wenn ich nicht an meinem Arbeitsplatz bin, dann arbeite ich nicht.“ Das soll sich nun im Unternehmen ändern, aber so einfach ist das auch wieder nicht, denn eine solche Führungskultur lässt sich nicht von heute auf morgen „ausradieren“ wie einen schlecht gesetzten Strich in einer Zeichnung. Dazu braucht es Zeit und Raum, damit Begegnung stattfinden kann.

Raum für Begegnung?

In vielen Organisationen stellt man sich bei allen Themenstellungen die Frage: „was kommt dabei heraus“? Ist es messbar und kann es in einem konkreten Beitrag für das Unternehmen festgemacht werden?  Bei einer solchen Betrachtung schneidet der Aspekt Begegnung wohl oberflächlich gesehen schlecht ab, denn Begegnung ist de facto nicht direkt messbar. Zwanglose stattfindende Begegnung wurde oft zugunsten von (vermeintlicher) Effizienz wegrationalisiert. Und dennoch trägt sie einen wichtigen Beitrag zur Produktivität bei. Denn bei informellen Gesprächen findet ein Informationsaustausch statt, Informationen am „schnellen Dienstweg“ werden weitergegeben, die das Schreiben eines e-Mails ersetzen. Vertrauen entsteht, das ein Arbeiten ohne dauernde Absicherung benötigt. In der modernen Bürogestaltung geht der Trend genau dorthin, nämlich offenere Büros zu haben und viele verschiedene kleine Inseln um sich zusammenzusetzen und treffen zu können.

Zeit für Begegnung?

Ein zweiter Faktor ist wesentlich für eine gelingende Begegnung und das ist die Zeitqualität: dürfen wir uns für Treffen und Gespräche offiziell Zeit nehmen? Begegnung braucht das Gefühl der Sicherheit, damit sie stattfinden kann, dass Gefühl, dass wir uns Zeit nehmen dürfen miteinander zu sprechen und in Austausch zu gehen. Dort, wo wir uns dbzgl. unsicher fühlen vermeiden wir sie und ziehen uns zurück. Im Business-Kontext gibt es dafür nach wie vor oft zu wenig Zeit – abseits von Meetings. Und auch die Unternehmensführung versucht vielerorts Begegnung zu fördern. Allerdings muss sie dazu selbst sichtbar und greifbar werden – sich Zeit zu nehmen auf die Mitarbeiter zu zugehen. Denn Begegnung findet immer statt – und sei es nur durch kleine Zeichen in der Körpersprache – oder eben durch völlige Abwesenheit.

Entwicklung durch Begegnung.

Schon bei kleinen Kindern sieht man, wie wichtig Bezugspersonen sind, um sich zu entwickeln. Und auch später, im Erwachsenenleben hört diese Entwicklung nicht auf, sie verändert sich nur, wird möglicherweise bewusster. Edmund Husserl, deutscher Philosoph und Phänomenologe meint, wir brauchen den anderen um ein Selbstverständnis bekommen zu können. Die andere Person löst also etwas aus in uns, mit dem wir sonst vielleicht nicht in Berührung gekommen wären. Sie bietet uns Anstoß nachzudenken, zu reflektieren, unser Verhalten zu beobachten, uns weiterzuentwickeln, reifer und bewusster zu werden.

Verschiedene neue Organisationsformen und Arbeitsmodelle nutzen Zeit und Raum für (Selbst-)Reflexion als einen wesentlichen Eckpfeiler ihrer Unternehmenskultur: die Begegnung mit sich selbst und mit anderen. Um Reflexion in der Gruppe möglich zu machen, braucht es Vertrauen und das entsteht auch nicht von heute auf morgen, sondern baucht Zeit und Raum. Bewusstheit über Begegnungen erfolgt erst über die Reflexion: wie war mein Umgang mit anderen? Was war mein Beitrag zu einem Gespräch? Wie reagieren die anderen auf mich? Auf welche Weise verhalte ich mich mit verschiedenen Menschen unterschiedlich?

Produktivität folgt Erkenntnis folgt Begegnung.

Es muss aber auch nicht eine andere Organisationsform sein, die Austausch fördert und möglich macht. In der eingangs beschriebenen Organisation sucht der neue Firmenchef regelmäßig Gespräche mit den MitarbeiterInnen und zwar nicht nur auf Führungsebene. Das Feedback der Menschen im Unternehmen zeigt, dass sie nun endlich das Gefühl haben, gehört zu werden, ernst genommen zu werden und, dass sich etwas bewegt. In einer Befragung verschiedener MitarbeiterInnen kam heraus, dass die Motivation und Produktivität in den letzten Monaten messbar gestiegen ist und dass sei vor allem dem Interesse der Geschäftsführung an den MitarbeiterInnen geschuldet. Und auch für den Firmenchef brachten diese Gespräche viele Erkenntnisse und ein tiefes Wissen und Verständnis für die Organisation. Erkenntnisse, die wesentlich sind, um das Unternehmen durch den aktuellen Wachstums- und Veränderungsprozess manövrieren zu können und die Produktivität im Schulterschluss mit den MitarbeiterInnen zu steigern.

Karin Weigl

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Führen mit Durchblick

Perspektive kommt vom lateinischen Verb perspicere, das bedeutet „durchsehen“, „durchblicken“ und  sie war der Begriff, dem wir vor kurzem ein Wiener Leadership Breakfast widmeten.
Mittels dieses Durchblickens wird nicht nur sichtbar, was sich im Raum befindet, sondern auch das Dazwischen, der Raum selbst. Die Perspektive öffnet den Raum in zweierlei Hinsicht: (1) Durch das Betrachten werde ich mir bewusst, dass ich selbst einen Standpunkt einnehme. (2) Ich erkenne im Raum eine Anordnung, d.h. die Art, wie Menschen, Dinge und Standpunkte sich zueinander verhalten. Wer oder was ist größer, kleiner, nahe, fern, in der Mitte, am Rand?

Im Auge des Betrachters

Die abendländische Kunst hat in der Renaissance einen Coup gelandet, indem sie die Zentralperspektive[1] eingeführt hat. So wurde der dreidimensionale Raum auf der zweidimensionalen Fläche der Leinwand sichtbar, spürbar. Die bildliche Darstellung erlangte eine bis dahin ungekannte Tiefe. Damit gelang es, den Anspruch einer objektiven Ordnung mit der Tatsache in Einklang zu bringen, dass diese objektive Ordnung immer vom Auge der Person abhängt, die den Raum betrachtet.[2]

Vogel- und Froschperspektive

Geht es nicht im Alltag der Organisation genau darum? Hinter all den verschiedenen Blickwinkeln, Betrachtungsweisen und Standpunkten das Verbindende zu entdecken? Einen Ausgleich zu schaffen zwischen der Vogelperspektive der strategischen Entscheidungen der Führungsebene und der Froschperspektive der konkreten Umsetzung in den Abteilungen, den Teams, in der Arbeit der einzelnen MitarbeiterInnen? Wer würde theoretisch nicht zustimmen, wenn gesagt wird, dass alle Perspektiven wichtig sind? Aber wie sieht es in der Praxis aus?

Die Perspektive der anderen einzunehmen ist eine Kompetenz, die man sich aneignen muss. Und die man immer wieder üben muss. Die Geschichte des Films hat uns gezeigt, wie vielschichtig man das Thema Perspektive angehen kann und dass Perspektive nicht nur eine Frage des Raumes ist, sondern auch der Zeit. Der Schnitt entscheidet über den Wechsel und die Aufeinanderfolge der Perspektive, er gibt den Perspektiven einen Rhythmus. Und damit wird immer etwas zum Ausdruck gebracht: eine eher objektive oder eher subjektive Sicht der Dinge zum Beispiel.

Existenzgrund und Fluchtpunkt

Die Perspektive als Möglichkeit der Anordnung in Raum und Zeit ist auch für Organisationen höchst bedeutsam: Welche Ziele sind zentral, wie sind die einzelnen Ziele aufeinander bezogen, hinsichtlich Priorität, aber auch inhaltlich? Wie können diese Ziele erreicht werden? Und wie hängen sie zusammen, in welcher Beziehung stehen sie zum Existenzgrund, zum Unternehmenszweck? Dieser liegt immer außerhalb des konkreten Bildes, das eine Organisation abgibt, es ist der imaginäre Fluchtpunkt, in dem alle Anstrengungen zusammenlaufen.

Leider kommt es immer öfter vor, dass in Chefetagen von großen Unternehmen keine langfristigen Perspektiven entwickelt werden – und zwar nicht nur hinsichtlich der geschäftlichen Belange, sondern vor allem für die MitarbeiterInnen. Frustriert verlassen einst motivierte, leistungsbereite Kräfte diese Organisationen, weil sie keinen Sinn in ihrer Tätigkeit finden können, weil sie in ihrer Perspektive nicht wahrgenommen werden, diese nicht wirksam einbringen können.

Standpunkt und Haltung

Führen wird in dieser Hinsicht zu einer äußerst schwierigen Aufgabe, denn oft muss man strategische Ziele vermitteln, die in Widerspruch zu den Erfahrungen und Standpunkten vieler MitarbeiterInnen stehen. Dennoch sollte eine Führungskraft sich immer überlegen, wie sie Perspektiven geben kann, die nicht zwangsläufig durch ihre Sichtweise und die eigenen Erfahrungen gefiltert sind. Sie sollte ihren Standpunkt klar zum Ausdruck bringen und dennoch nicht so handeln, als ob es der einzig mögliche, der einzig denkbare ist. Das ist eine Frage der Haltung: Wie geht man mit den MitarbeiterInnen um, wie schaut man auf sie?

Autor: Dr. Klaus Neundlinger

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Perspektive

[2] Erwin Panofsky: Die Perspektive als „symbolische Form“. http://www2.uni-jena.de/philosophie/medien/guenzel/pdf/Panofsky_Perspektive%20%281927%29.pdf

Fotocredit: AdobeStock #213794035

Die Zukunft der Arbeit und wie wir sie gestalten können.

Schon die bekannte Biochemikerin Renée Schroeder hatte bei unserem Wiener Leadership Kongress im Jahr 2016 darüber gesprochen, dass wir Menschen frei entscheiden können, ob wir Schafe sein oder Eigenverantwortung übernehmen wollten: es läge also vollkommen bei uns, wie wir unsere Genetik weiterschreiben und entwickeln und wie wir die Zukunft gestalten. Auch die moderne Hirnforschung kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Zukunft der Arbeit wäre demnach also offen, denn der Mensch kann frei entscheiden, wie er sie gestalten will. Und es gibt äußere Faktoren, die der Entwicklung eine Richtung weisen.

Entwicklung folgt Engpass

Entwicklung und Wachstum finden vor allem dann statt, wenn es eine Krise, einen Engpass gibt. Offenbar brauchen wir Menschen sich zuspitzende Zustände, um uns aus unserer Komfortzone zu bewegen, um Neues zu entwickeln und auch persönlich zu reifen. Das gilt für die heutige Welt und war offenbar schon immer so. In den letzten 150 Jahren sehen wir dazu einige Beispiele: als Transportmöglichkeiten der Engpass waren, wurde die Eisenbahn gebaut. Und als die Wissensflut immer größer wurde, dass man sie mit manuellen und herkömmlichen Methoden nicht mehr strukturieren und vernetzen konnte, kamen die ersten Computer auf den Markt.

Wenn wir also einen Blick in die Zukunft werfen wollen, dann gab es hinter jeder Entwicklung in der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Was könnte also der Engpass sein, der in Zukunft unsere Entwicklung als Wirtschaft und Gesellschaft beeinflussen könnte?

Gesundheit und vernetztes Wissen

Das, was in der Wirtschaft seit gut 20 Jahren beobachtbar ist, ist eine stärkere Entwicklung Richtung Dienstleistung.  Es werden weiterhin Güter produziert, aber viele dieser Güter werden komplexer und bedürfen Erklärungen und Informationen – und das betrifft die meisten Bereiche des menschlichen Lebens, egal, ob technologisch, in der Ernährung, im Sport…

Wir leisten also immer mehr gedankliche Arbeit und das ist in meinen Augen auch der Weg der Entwicklung: wir werden nicht mehr nur reines Wissen verkaufen (denn das ist ja mittlerweile durch das Internet kostenlos zugänglich), es wird vielmehr um die Kombination aus Wissen und Erfahrung gehen, also um das Vernetzen von Wissen und Erfahrung, das Beraten, das Probleme lösen, kurz: gedankliche Arbeit.

Auch Erik Händeler, ein bekannter deutscher Wirtschaftsjournalist und Zukunftsforscher, sieht auch eine Entwicklung in diese Richtung. Und für ihn kommt noch eine weiterer Engpass dazu, das Thema (seelische) Gesundheit. So meint Händeler:

„Gesundheit war immer wichtig, aber es war nie der Flaschenhals. Früher waren Menschen, die hart körperlich arbeiten mussten, mit 35 erschöpft, aber man konnte sie austauschen, es liefen genügend herum. Wenn man früher mehr Wohlstand hatte, hat man denen dann einen Bohrhammer gegeben und war durch die Technik produktiver. Aber jetzt nach 200 Jahren Industriegeschichte, in denen wir energetische und materielle Prozesse effizient gemacht haben, jetzt wird der größte Teil der Arbeit Gedankenarbeit sein.“

Sozialkompetenz als Schlüssel

Wenn es also künftig immer stärker um gedankliche Arbeit gehen wird, dann wird hier auch Sozialkompetenz eine signifkantere Rolle spielen: wie wir miteinander umgehen und wie wir zusammenarbeiten, wie wir Wissen und Erfahrung teilen. Denn je komplexer die Welt und die Produkte werden, desto mehr sind wir auf das Wissen und die Erfahrung anderer angewiesen. Wir älteren neigen vielleicht manchmal dazu, jungen Menschen ihre Kompetenzen abzusprechen, weil sie vielleicht nicht unsere jahrelange Erfahrung mitbringen. Dafür bringen junge Menschen einen anderen Zugang zu neuem Wissen, neuen Technologien mit und Erfahrungen, die wir älteren nie gemacht haben, weil wir in einer anderen Zeit aufgewachsen sind. Diese verschiedenen Kompetenzen miteinander zu vernetzen wird künftig über die Produktivität und den Erfolg eines Unternehmens wesentlich mitentscheiden.

Produktivitätsfaktor Zusammenarbeit

Produktivität wird demnach stark von der Art wie wir unsere Zusammenarbeit gestalten, abhängen. Und sie wird nicht mehr nach althergebrachten Parametern messbar sein, wie z.B. der Zeitaufwand, nach dem jemand auf ein Produkt verwendet hat.

Erik Händeler dazu:

„Wir waren historisch gesehen noch nie so auf andere angewiesen wie jetzt. Deswegen wird das Sozialverhalten zum wichtigsten ökonomischen Kriterium. Und wir werden beim Thema (seelische) Gesundheit landen. Früher am Fließband war es völlig egal, ob die Leute miteinander zurechtgekommen sind für die Produktivität. Aber jetzt in der Wissensgesellschaft ist jeder der König/ die Königin ihres Wissensbereiches. Und wenn sie dann im Team jemand haben, der merkwürdig reagiert, der sich ein bisschen neurotisch verhält ist die Produktivität des ganzen Teams lahmgelegt.“

Die Arbeit am und mit Menschen und die Arbeit mit unseren gedanklichen Kompetenzen wird also die Zukunft der Wertschöpfung prägen. Was wir als Gesellschaft daraus machen und wie wir miteinander umgehen werden bleibt zu beobachten. Und jeder und jede Einzelne von uns kann die Entwicklung in eine positive Richtung beeinflussen, indem wir als erstes bei uns selbst ansetzen.

Zitate aus:
Erik Händeler, „Wie uns trotz Digitalisierung niemals die Arbeit ausgeht“: https://www.youtube.com/watch?v=6nGnzoXOTBM

Fotocredit: Fotolia #30357023 © Klaus Eppele

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