Das Frühwarnsystem im Unternehmen

Ein Gastbeitrag von Dr. Birgit Feldhusen.

In unseren Leadership Breakfasts diskutieren wir zentrale Begriffe aus unserer Arbeitswelt. Warum war die ‚Sensibilität‘ Thema bei einem Frühstück? Warum ist sie auf der Liste der Begriffe gelandet, die für eine neue Führungswelt angereichert oder umgedeutet werden müssen? Ist Sensibilität nicht das, was uns verletzbar macht und demzufolge das Gegenteil dessen, was als Kompetenz der Zukunft hoch gehandelt wird? Resilienz?

Wie im Aquarium, so im Unternehmen.

In einer der ersten Statements unserer Frühstücksrunde erfuhren wir sofort, dass im ökologischen System eines Aquariums die Sensiblen zuerst sterben, wenn das System aus der Balance gerät. Das regte an, den Begriff näher zu definieren. Sensitivität = Sensibilität = Vulnerabilität?

Keineswegs! Sensibilität bezieht sich zunächst einmal auf die reine Wahrnehmung, auf die Feinheit der Einstellung unseres Wahrnehmungsapparates. Wie wir dann mit den Inhalten der Wahrnehmung umgehen, ist eine zweite Sache. Damit unser Gehirn möglichst viel Energie spart, neigen wir Menschen dazu, die Inhalte unserer Wahrnehmung in bereits bestehenden Kategorien zu verarbeiten. So reagieren wir in bestimmten Situationen nach bestehenden Mustern, und in einigen eben sehr emotional. Eine sensible, also fein eingestellte Wahrnehmung nimmt schlicht und einfach mehr wahr, es muss mehr verarbeitet werden. So treten auch Verarbeitungsresultate wie emotionale Reaktionen häufiger auf und sensible Menschen werden von außen irrtümlicherweise als grundsätzlich verletzlich(er) – als ‚Mimosen‘ – eingestuft. Die Art der Reaktion auf bestimmte Wahrnehmungen – emotional verletzt oder resilient – hängt aber nicht von dem Maß der Sensibilität ab, sondern von den gemachten Vorerfahrungen und bestehenden Verarbeitungsmustern. Hochsensible können unsensibel reagieren und vice versa.

Kann/ soll man sich abhärten?

Dies warf die Frage auf, ob es möglich sei, die eigene Toleranzschwelle zu erhöhen, sprich die geistigen und seelischen Reaktionen ‚abzuhärten‘, wie man es auch mit körperlichen Reaktionen tun kann. Hier wurden Beispiele genannt wie das Kältempfinden oder die Toleranz Giften gegenüber.

Zum einen wurde diskutiert, dass im Grunde jede Erfahrung, auch jedes Trauma, eine Form der ‚Abhärtung‘ ist, wenn sie gut verarbeitet wird. Seine eigenen Verarbeitungskategorien (kognitive Muster, Werte, Einstellungen) zu erforschen und eventuell anzupassen ist also eine äußerst nützliche Übung im Hinblick auf Resilienz. Das gilt für alle Menschen, aber in besonderem Maße für sensible Menschen. Es sorgt dafür, dass wir selbst besser über unsere Reaktionen entscheiden können.

Differenzierung ist wichtig.

Zum anderen gilt es im Auge zu behalten, dass die Gesamtbelastung gewisse Grenzen nicht überschreitet. Sonst kann es zu verschiedenen Stadien der Überreizung bis zu einem völligen ‚Shut Down‘ des Wahrnehmungssystems kommen. Hier hilft ein augeprägtes Differenzierungsvermögen: was ist wichtig? Was nicht? Auch hier sind die Bandbreiten für sensible Menschen schneller erreicht.

Großes Potenzial für Unternehmen.

In einer hochdynamischen Welt, die von Unternehmen ein ständiges Beobachten des Umfeldes und eine entsprechende Anpassung verlangt, können die Sensiblen das Frühwarnsystem eines Unternehmens im Hinblick auf Entwicklungen, Chancen, Risiken, Kundensituationen und interne Stimmmungslagen sein. Wie im Aquarium reagieren sie zuerst auf Dysbalance oder können feinste Wahrnehmungssplitter zu einer wichtigen Essenz und Erkenntnis zusammenfügen, die in keiner Markanalyse steht.

Zukunftskompetenz.

Nur muss es Mechanismen geben, die dafür sorgen, dass diese Sensoren nicht ‚als erstes sterben‘, d.h. das Unternehmen verlassen oder in einer Überbelastung resignieren.  Es geht wieder einmal um das Thema Diversity und ihren Nutzen im Hinblick auf die Bewältigung von Herausforderungen. Es geht um die Akzeptanz und Wertschätzung der Unterschiedlichkeit von Menschen, diesmal in der Ausprägung unterschiedlicher Wahrnehmungsfähigkeiten.

Sensibilität bzw. eine gesteigerte Wahrnehmungsfähigkeit, wird in Zukunft sinnvollerweise nicht als ‚störendes Merkmal von Mimosen‘ verurteilt, sondern gezielt, als wichtige Kompetenz zur Zukunftsgestaltung  gesucht, eingesetzt und im Hinblick auf emotionale Reagibilität bzw. Resilienz geschult und unterstützt werden. Sensibilität ist eine wichtige Zukunftskompetenz.

Dr. Birgit Feldhusen

Fotocredit: Fotolia.com #94421141 microstock77

Führung & Gärtnern.

oder: Tradition und Zeitgeist kontra Zeitlosigkeit der Gesetzmäßigkeiten der Natur.
Ein Gastbeitrag von Dr.in Monika Kerbl.

Mitten im Winter  “der Garten” als Thema?
Erster Einwand: Das ist gegen den Trend, da fehlt die Aktualität.
Weitere  Bedenken: Reicht da meine Vorstellungskraft, dass ich mich in das, was ich beim Gärtnern erlebe, hineindenken kann? Und können in der dunklen und kalten Zeit inspirierende Bilder in den Köpfen der Leserinnen und Leser entstehen? Andererseits – die Wintersonnenwende ist Ursprung der Tradition eines Festes, wo ein grüner Baum die Zuversicht symbolisiert, dass auf die kahle Zeit eine Periode des lebendigen Blühens und Fruchtens folgt.

Gestalten.

Als ich vor sieben Jahren einen Garten übernahm, erlebte ich diesen Übergang intensiv.
Es war  mitten im Winter. Der Garten, den ich aus dem Sommer in üppiger Pracht in Erinnerung hatte, wirkte kahl und leblos. In diesem Stadium ist die vorrangige Führungsaufgabe das Gestalten, dafür braucht es im Garten Vorstellungsvermögen und Einblick in größere Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten der Natur. Ich lernte ein organisch aus den Gegebenheiten entstehendes Planen, fern von Wunschdenken, kennen.

Vorstellungsvermögen und Einblick.

Wahrnehmend ging ich durch den Garten, ließ Vorstellungsbilder entstehen und auf mich wirken. Jede Pflanzenart hat ihre spezifischen Bedürfnisse. Darüber hinaus gibt es Wechselwirkungen zwischen Pflanzengattungen. Ein harmonisches Ganzes aufzubauen setzt Klarheit über die Ziele im Garten voraus – Nutzpflanzen, Zierpflanzen, Erholungsoasen? Ein besonderes Fachbuch half mir, ganzheitliche Grundlagen fürs Gärtnern zu entwickeln – und dabei mein Verständnis für Führungsverantwortung zu vertiefen:

“In den Gärten des Managements: Für eine bessere Führungskultur” von Matthias Nöllke, erschienen als Haufe Sachbuch Wirtschaft.

Das Buch beginnt damit, den Garten als gestaltete Natur zu begreifen, und mit der grundsätzlichen Zugewandtheit zum Leben in seiner überbordenden Vielfalt. Gedanken, die zu zeitlosen und aktuellen Fragen anregen:

Sichtweisenwechsel.

Haben Sie die Organisation, in der Sie wirken, schon einmal als gestaltete Natur betrachtet? Und wenn ja, was folgt für Sie daraus? Wie gehen Sie mit Komplexität und Unvorhersehbarem um? Die “VUCA-Welt” (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit) ist im Organisationszusammenhang ein aktuell heiß diskutiertes Thema, im Garten alltägliche Erfahrung. Das Buch beleuchtet Themen wie “Nachhaltig führen”, was vielleicht nahe liegt, doch auch  “Mitarbeiter fördern”, “Innovationsräume schaffen” und  “Individualität schützen” in Analogien aus dem Erfahrungsschatz des Gärtnerns.

Zum Beispiel bei “Individualität schützen” zeigt die Form eines “Senkgartens” u.a. folgende Anliegen auf:

Erstens: Sensiblen Gewächsen, nämlich den “kreativen Individualisten” und den “weichherzigen Gemütsmenschen”, einen Schutzraum bieten, vor Wetterunbillen und vor anderen Pflanzen. “Geben Sie komplizierten Menschen eine Chance” steht da als Tipp, im krassen Widerspruch zu den gängigen Stelleninseraten, die auf “hohe Leistungsbereitschaft” abzielen oder vor allem “Belastbarkeit” suchen. Der Wert der sensiblen Gewächse kann in ihrem Potential als Hidden-Champions liegen, oder in ihrer freundlichen Art, die den Boden verbessert, aus dem andere ihre Kraft beziehen, meint der Autor.
Und weiter: “Natürlich genügt nett sein allein nicht”, doch es ist ein deutliches Signal an andere, wenn die Ehrlichen und Hilfsbereiten mal nicht “die Dummen sind”.

Zweitens: Unter den “Charakterpflanzen” findet sich dann der Rittersporn: schön, empfindlich und hochgiftig. Seine Besonderheit: Er kann Nähe zu Seinesgleichen nicht gut ertragen und gedeiht nur auf Boden, der dieser Gattung immer wieder frisch zur Verfügung gestellt wird. Er steht symbolisch für einen Mitarbeiter-Typus auffälliger Leistungsträger, die Ihre Hochleistung unter der Voraussetzung erbringen, dass sie die volle Unterstützung ihrer Vorgesetzten haben, die sie insbesondere von störenden Einflüssen abschirmen.

Kooperation ohne Incentives.

Spätestens bei diesem Punkt erkannte ich, der Anspruch an Führung im Stile des Gärtnerns ist hoch, denn: Pflanzen sind “kooperativ” in einem besonderen Sinne: Sie folgen verlässlich ihrer Bestimmung, wie diese in ihrem Samen angelegt ist. Wo die Umfeld-Bedingungen für die Pflanze passen, leistet sie ihren Beitrag. Incentivierung spielt keine Rolle, Druck ebenso wenig. Pflanzen “spiegeln” durch die Ergebnisse die Kompetenz der Gartenführung.

Das Buch bewirkte aber noch mehr, als mir Einsichten mitzugeben: es regte mich an, darüber hinaus eigene Analogie-Gedanken während der Gartenarbeit anzustellen.Zum Beispiel erkannte ich bald, dass sich in der “stillen Winterperiode” unter der Schneedecke sehr wohl etwas tut, in der Winterruhe bereitet die Natur den Frühling vor. Das junge Grün drängt kraftvoll hervor, sobald die Temperaturen milder werden. Die Aufgabe des Gärtners ist es dabei, Raum zu schaffen, die Überreste der vergangenen Wachstumsperiode, die in der Kälte noch als Schutz für die Wurzeln dienten, zu entsorgen. Während ich die Erdbeertöpfe von abgestorbenen Blättern befreite, kam mir eine Organisation in den Sinn, mit der ich zu tun hatte. Mir schien dort die Weiterentwicklung bzw. Neuentwicklung von Angeboten zu kurz zu kommen. Lag es etwa gar nicht an einem Mangel an kreativen Fähigkeiten? Fehlten nicht vielmehr Voraussetzungen wie das Ausräumen von in der Vergangenheit bewährten jedoch nicht mehr fruchtbaren Strukturen? Oder wären Auszeiten hilfreich?

Gärtnern und die “Gärten des Managements” hatten ihre Wirkung auf mich: Ich war eine immer besonders offen für innovative Trends und Ansätze, doch manchmal ungeduldig mit Sichtweisen wie “das war schon immer so”. Inzwischen bin ich auf Traditionen wie auf neue Zugänge neugierig und bereit, zu hinterfragen, was an Einsichten über die unverändert wirkende Natur hinter den einen oder anderen steckt.

Monika Kerbl, Dr.in
Impulsgeberin & Mentorin

www.m-kerbl.link
Blog: https://mkerbl.wordpress.com/

Fotocredit: Fotolia #106201829  © Trueffelpix

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