Begegnung bringt Produktivität.

Kürzlich war ich wieder einige Tage bei einem produzierenden österreichischen Unternehmen. Das Ziel der neuen Geschäftsführung dort ist es, die Produktivität zu steigern. Das, was mir als erstes auffiel waren die geschlossenen Türen im ganzen Unternehmen. Die Gänge waren leer und was sich hinter den Bürotüren abspielte war ruhig und nicht erkennbar. Selten sah man die eine oder andere Person zwischen zwei Zimmern hin und her gehen, oder auf dem Weg zum Kaffeebereich. Aber niemand hielt sich am Gang auf, selbst in der Kaffee-Ecke waren nur äußerst selten Leute zu finden. Schon gar nicht in Grüppchen zu gegenseitigem Austausch und Begegnung.

Ich war überrascht, denn so extrem hatte ich es noch nicht erlebt. Solche Entwicklungen der Unternehmenskultur sind immer auch Zeichen der Führung und – nach Gesprächen mit dem Management-Team – waren die letzten Jahre geprägt von Aussagen und Sichtweisen wie „wenn ich nicht an meinem Arbeitsplatz bin, dann arbeite ich nicht.“ Das soll sich nun im Unternehmen ändern, aber so einfach ist das auch wieder nicht, denn eine solche Führungskultur lässt sich nicht von heute auf morgen „ausradieren“ wie einen schlecht gesetzten Strich in einer Zeichnung. Dazu braucht es Zeit und Raum, damit Begegnung stattfinden kann.

Raum für Begegnung?

In vielen Organisationen stellt man sich bei allen Themenstellungen die Frage: „was kommt dabei heraus“? Ist es messbar und kann es in einem konkreten Beitrag für das Unternehmen festgemacht werden?  Bei einer solchen Betrachtung schneidet der Aspekt Begegnung wohl oberflächlich gesehen schlecht ab, denn Begegnung ist de facto nicht direkt messbar. Zwanglose stattfindende Begegnung wurde oft zugunsten von (vermeintlicher) Effizienz wegrationalisiert. Und dennoch trägt sie einen wichtigen Beitrag zur Produktivität bei. Denn bei informellen Gesprächen findet ein Informationsaustausch statt, Informationen am „schnellen Dienstweg“ werden weitergegeben, die das Schreiben eines e-Mails ersetzen. Vertrauen entsteht, das ein Arbeiten ohne dauernde Absicherung benötigt. In der modernen Bürogestaltung geht der Trend genau dorthin, nämlich offenere Büros zu haben und viele verschiedene kleine Inseln um sich zusammenzusetzen und treffen zu können.

Zeit für Begegnung?

Ein zweiter Faktor ist wesentlich für eine gelingende Begegnung und das ist die Zeitqualität: dürfen wir uns für Treffen und Gespräche offiziell Zeit nehmen? Begegnung braucht das Gefühl der Sicherheit, damit sie stattfinden kann, dass Gefühl, dass wir uns Zeit nehmen dürfen miteinander zu sprechen und in Austausch zu gehen. Dort, wo wir uns dbzgl. unsicher fühlen vermeiden wir sie und ziehen uns zurück. Im Business-Kontext gibt es dafür nach wie vor oft zu wenig Zeit – abseits von Meetings. Und auch die Unternehmensführung versucht vielerorts Begegnung zu fördern. Allerdings muss sie dazu selbst sichtbar und greifbar werden – sich Zeit zu nehmen auf die Mitarbeiter zu zugehen. Denn Begegnung findet immer statt – und sei es nur durch kleine Zeichen in der Körpersprache – oder eben durch völlige Abwesenheit.

Entwicklung durch Begegnung.

Schon bei kleinen Kindern sieht man, wie wichtig Bezugspersonen sind, um sich zu entwickeln. Und auch später, im Erwachsenenleben hört diese Entwicklung nicht auf, sie verändert sich nur, wird möglicherweise bewusster. Edmund Husserl, deutscher Philosoph und Phänomenologe meint, wir brauchen den anderen um ein Selbstverständnis bekommen zu können. Die andere Person löst also etwas aus in uns, mit dem wir sonst vielleicht nicht in Berührung gekommen wären. Sie bietet uns Anstoß nachzudenken, zu reflektieren, unser Verhalten zu beobachten, uns weiterzuentwickeln, reifer und bewusster zu werden.

Verschiedene neue Organisationsformen und Arbeitsmodelle nutzen Zeit und Raum für (Selbst-)Reflexion als einen wesentlichen Eckpfeiler ihrer Unternehmenskultur: die Begegnung mit sich selbst und mit anderen. Um Reflexion in der Gruppe möglich zu machen, braucht es Vertrauen und das entsteht auch nicht von heute auf morgen, sondern baucht Zeit und Raum. Bewusstheit über Begegnungen erfolgt erst über die Reflexion: wie war mein Umgang mit anderen? Was war mein Beitrag zu einem Gespräch? Wie reagieren die anderen auf mich? Auf welche Weise verhalte ich mich mit verschiedenen Menschen unterschiedlich?

Produktivität folgt Erkenntnis folgt Begegnung.

Es muss aber auch nicht eine andere Organisationsform sein, die Austausch fördert und möglich macht. In der eingangs beschriebenen Organisation sucht der neue Firmenchef regelmäßig Gespräche mit den MitarbeiterInnen und zwar nicht nur auf Führungsebene. Das Feedback der Menschen im Unternehmen zeigt, dass sie nun endlich das Gefühl haben, gehört zu werden, ernst genommen zu werden und, dass sich etwas bewegt. In einer Befragung verschiedener MitarbeiterInnen kam heraus, dass die Motivation und Produktivität in den letzten Monaten messbar gestiegen ist und dass sei vor allem dem Interesse der Geschäftsführung an den MitarbeiterInnen geschuldet. Und auch für den Firmenchef brachten diese Gespräche viele Erkenntnisse und ein tiefes Wissen und Verständnis für die Organisation. Erkenntnisse, die wesentlich sind, um das Unternehmen durch den aktuellen Wachstums- und Veränderungsprozess manövrieren zu können und die Produktivität im Schulterschluss mit den MitarbeiterInnen zu steigern.

Karin Weigl

Fotocredit: fotolia.com  #91846153 Zarya Maxim

In Zeiten von hohem Druck das “Schnellschussmuster” durchbrechen.

Nachlese zur Wiener Leadership Night am 21. Jänner 2016 mit Dr. Monika Kerbl

Schnell ist nicht immer besser. Diese Erfahrung haben wir alle gemacht und dennoch verhalten wir uns häufig danach, schnell zu handeln. Beispielsweise laufen wir, um die gerade einfahrende Straßenbahn noch zu erreichen, ganz gleich, wie viel Zeit wir haben.

In unserer Wirtschaftswelt und unserem Alltagsleben geht es oft darum, etwas „möglichst schnell“ zu erledigen oder „von jemanden etwas schnell zu brauchen“. Wäre es denn wirklich ein Verlust, wenn wir oftmals nicht schnell reagieren? Und gibt es eine „Wirkungsgradkurve“ – eine Korrelation zwischen ausgeübtem Druck und Leistungssteigerung, anhand derer sich ein Optimum bestimmen lässt, für Höchstleistung zwischen zu wenig oder zu viel Druck?

Manches davon nehmen wir als gegeben an, entwickeln Heuristiken, die beim „schnellen Denken“ wirken.

Beispielsweise hat schnelles Denken mit Erlebnissen aus unserer kurzfristigen Vergangenheit zu tun. Ein Effekt, in der Psychologie als  Priming bezeichnet, ist Teil der assoziativen Gedächtnisleistung und beeinflusst unser Verhalten. Je nachdem, was ein Priming bei uns hervorruft (z.B. Büroutensilien wie etwa ein Aktenkoffer erhöhen den Stresslevel) ändert sich  unsere Denk- und Handlungsweise, und das geschieht unbewusst.

„Schnelles Denken“ kann in die Irre führen. Je komplexer die Zusammenhänge sind, umso mehr versagt die Heuristik. Ausbildner von angehenden Flugzeugpiloten kommen etwa zum dem Schluss, dass, wenn sie die Schüler für besonders gute Flüge loben, sich die Leistungen verschlechtern, wenn sie die Schüler bei sehr schlechten Flügen kritisieren, sich die Leistungen verbessern. Tatsächlich hat dieses Phänomen allerdings mehr mit mathematischen Wahrscheinlichkeiten zu tun, als mit Kausalität einer Leistungssteigerung oder eines Leistungsabfalls. Über kurzfristige Zeitspannen ändern sich  die Fähigkeiten der Flugschüler kaum, vielmehr sind die Ergebnisse der einzelnen Flüge zufällig verteilt, und nach dem Prinzip der „Regression zum Mittelwert“ wird auf ein extremes Ergebnis in den meisten Fällen ein dem Mittelwert näherliegendes Ergebnis – d.h. bei extrem guten Ergebnis ein schlechteres, bei extrem schlechtem Ergebnis ein besseres – folgen.

Schnelles Denken ist gut geeignet für Routinearbeiten. In verschiedenen Studien hat man jedoch festgestellt, dass beim kreativen Problemlösen alles, was Leistungs- oder Zeitdruck hervorruft, die Ergebnisse verschlechtert.

In Projekten ist die Verwendung roter, gelber oder grüner Ampeln gebräuchlich, um anzuzeigen, in welchem „Zustand“ ein Projekt oder eine Aufgabe gerade ist. Die rote Ampel erzeugt Ungeduld. Schnell werden Lösungen und Workarounds gesucht um die Ampel zuerst auf gelb und dann auf grün zu bringen. Workarounds können aber sogenannte Debts erzeugen. In konventionellen Vorgehensweisen wird über die Debts – die später notwendigen „Nacharbeiten“ – keine Transparenz geschaffen.
Wie würde es wirken, als Alternative zu einer roten Ampel etwa ein Gefahrenzeichen aus dem Straßenverkehr zu verwenden? – Im Unterschied zur roten Ampel ist ein Gefahrenzeichen ein Signal, das die Konzentration steigert und die Wahrnehmung aktiviert, die Sinne schärft für das was nicht bekannt ist – das Fragenstellen unterstützt. Verbesserungsprozesse leben davon, dass Fragen gestellt werden.

Ein Grund, warum wir dazu neigen, schnell zu reagieren, ist, dass wir in Arbeitssituationen gewöhnlich davon ausgehen, dass Ressourcen knapp sind und deswegen Effizienz vorrangig ist. Wir  könnten anders mit vergleichbaren Situationen umgehen unter der Annahme, dass es wichtiger wäre, mit Veränderungen gut umzugehen zu können, also Flexibilität und Resilienz vor Effizienz gefordert wäre.

Im Kanban geht es darum, Durchlaufzeiten zu optimieren und da besagen Erfahrungswerte, dass bei 80% Auslastung ein System optimal läuft. Der Rest ist sogenannter Slack, Raum, der Flexibilität und Verbesserungen bringen kann.

Auch namhafte Unternehmen, wie z.B. Google, haben entdeckt, dass Slack wertvoll für das Unternehmen ist: „80-20“ ist hier ein Motto, das für 80% produktive Projekte, 20%  „spielen“ und experimentieren mit Möglichkeiten für die Zukunft steht.

Auch historische Beispiele haben sich vom Effizienz-Denken abgewandt: Jack Welch war beispielsweise bekannt dafür, Meetings vertagt zu haben, wenn Entscheidungen sehr schnell zustande kamen.

Druck, Ungewissheit,  Stillstand zu vermeiden ist oft der Treiber für Schnellschussmuster.

Was sind also nun Alternativen, was können wir tun, um nicht schnell zuschießen:

  • Sensibler werden für Muster, wo „schnelles Denken“ typischerweise auftritt – laut D. Kahneman sein wesentlichstes Ergebnis seiner Forschungsarbeit.
  • Andere an Meinungsfindungs- oder Entscheidungsprozessen teilhaben lassen (auch, wenn diese inhaltlich nichts damit zu tun haben – und gerade dann).
  • Reflexionsraum einbauen um zu sehen, was läuft gut, was weniger – regelmäßig, unabhängig vom aktuellen Ergebnisstand (Beispiele Peer Groups, oder Retrospektiven in der agilen Softwareentwicklung).

Vielen herzlichen Dank an Dr. Monika Kerbl für die Gestaltung dieses Abends.

Weitere Gedanken zum Thema:

Buchempfehlungen zum Thema:

  • Daniel Kahnemann, Schnelles Denken, langsames Denken (Originaltitel: Thinking Fast and Slow)
  • Tom DeMarco, Der Termin (Originaltitel: A Novel about Project Management)

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