“Bleiben wir bitte sachlich!”

Gefühle haben etwas Überwältigendes. Sie entstehen im Augenblick, da sie Reaktionen auf etwas sind, das uns zustößt bzw. auf eine Situation, die sich einstellt. Von dieser Situation können positive Gefühle ausgehen: Freude, Glück oder Hoffnung; oder auch negative Gefühle: Angst, Enttäuschung, Trauer oder Zorn bzw. Wut. Und das kann (Mit-)Menschen manchmal ziemlich überfordern. Privat, aber auch im Arbeitsalltag. Und wenn in einem Konflikt oder nach unpopulären Entscheidungen dann die Aufforderung kommt, “doch bitte mal sachlich zu bleiben”, funktioniert das meistens nicht. Das haben wir alle schon mal erlebt.

Wir sind in einer Tradition – der westlichen Welt – aufgewachsen und zivilisiert worden, die seit Anbeginn das Denken eher über das Fühlen stellt. Verstand (Vernunft) und Gefühl, das ist ein Gegensatz, der oft mit einer Wertung verbunden ist; nämlich mit der Ansicht, dass unsere Gefühle durch unseren Verstand gezügelt, gezähmt werden sollen. Doch wenn Gefühle ins Spiel kommen, setzt der rationale Verstand meistens aus.

Räumlichkeit

Gefühle sind immer auf etwas (oder jemand) gerichtet und haben deshalb auch eine Räumlichkeit. Dies drückt sich in den Präpositionen aus, die wir verwenden: Wir haben Angst vor etwas oder jemandem, wir schämen uns vor jemandem für etwas, wir freuen uns (oder trauern) über etwas, wir sind zornig auf jemanden oder über etwas oder ärgern uns über jemanden oder etwas. Ebenso leiden wir – auch dies ist ein emotionaler Zustand – unter einer bestimmten Situation.

Wie kann man mit Emotionen im Arbeitsalltag umgehen?

In jedem Fall ist es wichtig, beispielsweise im Falle eines Konflikts oder einer unangenehmen Situation in einem Meeting, den Emotionen Raum zu geben, sie anzuerkennen. Das kann in einem Meeting durch eine „Meinungsrunde“ passieren. Jeder und jede hat reihum 2 Minuten Zeit (Zeit wird mitgestoppt), alles zu artikulieren, was ihm oder ihr zu einem Thema am Herzen liegt. Dabei wird weder kommentiert, noch bewertet. Jeder hört dem anderen zu, ohne zu unterbrechen. Das nimmt unmittelbaren Druck heraus. Manchmal braucht es noch eine zweite Runde, in der man dann durchaus die Fragestellung noch verändern kann: z.B. „Was müsste passieren, dass es noch schlimmer wird, als es gerade ist“ oder „Was brauche ich, damit ich heute wenigstens halbwegs gut aus diesem Meeting gehen kann“. Für die Führungskraft liefern diese Runden zusätzlich Informationen, die für die Kommunikation und Umsetzung einer Entscheidung oder nächster Schritte sehr relevant sein können. Zudem wird transparent, was die MitarbeiterInnen wirklich denken und fühlen.

Jedoch muss man als Führungskraft vielleicht auch mal aushalten, trotz Meinungsrunden ohne Lösung aus einem emotionalen Meeting zu gehen. In kurzen Einzelgespräche ein oder spätestens zwei Tage später kann man dann dazu beitragen, langsam gemeinsam wieder eine konstruktive Sicht einzunehmen: jeder hat sich wahrgenommen und gehört gefühlt, es ist alles gesagt. Also kann nun langsam auch an Lösungen gedacht werden, nachdem die ersten Emotionen abgeflaut sind.

Dr. Klaus Neundlinger & Karin Weigl

Der feuchte Kehricht.

Herbert ist in einem Unternehmen für das Controlling verantwortlich. Und Herbert ärgert sich regelmäßig darüber, dass die Projektmanager ihre Zeiten nicht erfassen. Also schreibt er Mails und ruft an, versucht sie, vor ihren Schreibtischen abzupassen. Dabei gehen viel Zeit und Energie verloren und andere Arbeiten bleiben auf der Strecke. Er hat ein Excel-Sheet programmiert, das alle Stückchen spielt, um Projekte nach allen möglichen Varianten auszuwerten und zu bewerten. Aber ohne die aktuellen und korrekten Daten gibt es keine valide Sicht auf die Projektkosten. Die Gründe seiner Kollegen interessieren ihn einen feuchten Kehricht, wie er meint, er kenne sie auch nicht genau. Er habe schließlich eine Aufgabe im Auftrag der Geschäftsleitung zu erfüllen, deren Sinnhaftigkeit augenscheinlich sei.

Der Karren steckt im Dreck…

Inge ist Projektmanagerin und sehr viel unterwegs. Meist ist sie 4 Tage die Woche vor Ort bei ihren Kundenfirmen und unterstützt diese dabei, ihre Prozesse schneller und effizienter zu gestalten. Sie gibt alles für die Firma und vergisst doch regelmäßig darauf, ihre Projektarbeitszeiten und Reisezeiten einzutragen. Vor allem deshalb, weil das Excel-Sheet in das sie die Daten eintragen sollte, einfach zu kompliziert ist und Zeit erfordert, die sie gefühlt nicht hat. Und sie ärgert sich regelmäßig über Herbert, der sie zu jedem Monatsletzten mit Anrufen und Mails regelrecht zubetoniert. Sein Excel interessiere sie einen feuchten Kehricht, hat sie letztens gesagt, denn es gäbe viel bessere Methoden, die Projektkosten zu erfassen, als seine selbstgestrickte, hoch komplexe Variante. Pattstellung also und der Karren steckt im Dreck.

Georg ist der Chef der Firma. Eine realistische Projektkalkulation ist schon lange ein großes Thema für ihn und ihm ist ein Dorn im Auge, dass das seit Jahren im Unternehmen nicht funktioniert. Gefühlte tausend Male hat er es schon beim einen oder anderen angesprochen. Gefühlte tausend Mal hat er versucht, Sanktionen zu setzen, die er per Rundmail kundtat. Ohne Verbesserung der Situation.

Miteinander reden statt übereinander.

Solche und ähnliche Situationen sind in Unternehmen keine Seltenheit. Es wird übereinander geredet, statt miteinander. Die Schuld wird hin und hergeschoben: der jeweils andere solle etwas anders machen, um eine Situation zu lösen.

Dabei hat jeder von uns einen Beitrag zu einer – oftmals auch verfahrenen – Situation. Und sei es schlichtweg, dass wir nichts machen, um sie zu verändern, dass wir etwas nicht aussprechen oder auf unserem Standpunkt beharren und damit alles blockieren. Dass wir anderen keine Chance geben, etwas zu klären, weil es für uns vermeintlich unwichtig ist, oder uns bei anderen über eine Person beklagen, statt diese direkt anzusprechen.

Vor der eigenen Türe wird oft viel zu wenig gekehrt.

Herbert, zum Beispiel, hat sich nie ehrlich für die wahren Gründe seiner KollegInnen interessiert und war auch nicht offen für alternative Lösungswege, weil er so viel Zeit und Energie in sein Excel gesteckt hatte. Inge, auf der anderen Seite, hat Herbert nie direkt gesagt, dass es an der Komplexität seines Excels lag, weshalb sie Monat für Monat kaum dazu überredet werden konnte, die Daten einzutragen. Und Georg hätte schon längst mal alle Betroffenen an einen Tisch bringen können, die Wichtigkeit für die Profitabilität des Unternehmens hervorstreichen und ein gemeinsames Verständnis für Prozess und Tool herstellen können, statt nur Mails zu schicken und die Leute einzeln darauf anzusprechen. Jeden also einbeziehen und seine oder ihre Gründe hören, warum das leidige Thema Zeiterfassung nicht gelöst werden könne.

Welchen Anteil habe ich daran, dass etwas so ist, wie es ist?

Wenn also wieder mal ein Thema unlösbar erscheint und alle bereits frustriert sind, dann ist es gut, alle Betroffenen an einen Tisch holen. Mache sie zu Beteiligten, in dem du reihum die Frage beantworten lässt: „Was ist mein persönlicher Anteil an der Situation? Was trage ich dazu bei, dass das Thema nicht gelöst werden kann?“ Und du wirst sehen, welchen Unterschied es macht, und wie rasch ein Problem konstruktiv angegangen werden kann, wenn jeder zuerst mal ausgesprochenerweise vor der eigenen Türe kehren muss – auch der Chef – , statt sich gefühlt nur um den Kehricht der anderen zu kümmern.

Wie sagte Goethe schon vor langer Zeit:

“Jeder kehre vor seiner eigenen Türe und die Welt ist sauber.”

Motivationsschub…

Hast du gerade viel zu tun? Hast du das Sommerloch in diesem Jahr gut genutzt?

Welches Sommerloch eigentlich? Ich suche es jedes Jahr vergeblich und habe es noch in keinem Jahr gefunden. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich gerne all jene Themen und Dinge in den Sommer verlege, für die ich mir während des restlichen Jahres zu wenig Zeit nehme. Und dabei ertappe ich mich immer wieder, dass es manchmal gar nicht so einfach ist, zwischen den wichtigen und den dringenden Dingen zu unterscheiden…

Der Sommer ist für dieses Jahr wohl auch temperaturtechnisch endgültig vorbei und eigentlich wäre ich durchaus bereit für ein “Sommerloch” bei all den Dingen, die es zu erledigen gilt. Ist aber keines in Sicht – weil es ja auch nicht mehr Sommer ist. Also schaffe ich Abhilfe und widme mich der Priorisierung – und hole mir einen Motivationsschub.

Wichtig und dringend.

Es gibt Aufgaben, die dringend UND wichtig sind. Das sind all jene Dinge, die Potenzial haben, Stress zu erzeugen. Grund dafür kann sein, dass jemand anderer etwas braucht oder man etwas beitragen soll, damit jemand anderer an einer bestimmten Aufgabe weiterarbeiten kann. Meist sind das auch Dinge, die mit Zeitdruck verbunden sind.

Erfolgsgefühl.

Dann gibt es all jene Dinge, die dringend, aber nicht so wichtig sind. Idealerweise kann man diese an andere delegieren. Bei mir erlebe ich, dass dies oft Aufgaben sind, bei deren Erledigung ich weniger Freude empfinde. Da ist es z.B. gut, wenn ich sie an jemand anderen weitergeben kann, dem sie vielleicht mehr Freude macht, als mir. Bei unseren Kunden beobachte ich immer wieder, dass Menschen Aufgaben nicht delegieren, weil sie meinen, die Aufgabe wäre für andere nicht zumutbar. Oftmals ist aber genau anderes der Fall: eine delegierte Aufgabe kann viel an Motivation erzeugen, an Lernerfahrung und damit auch an Erfolgsgefühl. Wie wäre es, einfach darüber zu reden und zu fragen, wer denn Interesse hätte, eine Aufgabe zu übernehmen – auch wenn es für einen selbst eine Unliebsame darstellt? In meiner Corporate-Vergangenheit war ich oft überrascht, wer sich dann für verschiedene Aufgaben meldete, denn oft hatte ich selbst nie gedacht, dass genau diese Personen an der spezifischen Sache Interesse hätten.

Alles, was wichtig, aber nicht dringend ist, schieben wir oft vor uns her. Denn keiner fragt in der Regel danach und es gibt auch keinen Zeitdruck dahinter. Diese Aufgaben reihen sich dann irgendwann mit fortschreitender Zeit in die „dringend UND wichtig“-Kategorie, wenn sie nicht erledigt werden… Und damit reihen sie sich automatisch in der Prioritätenliste nach vorne.

Motivationsschub.

Und schließlich gibt es jene Dinge, die weder wichtig noch dringend sind. Viele Lehrbücher empfehlen, solche Aufgaben hintenanzustellen. Was mich betrifft, sind das allerdings sehr oft genau die Dinge, die mir Spaß machen. Diese sollten also keine Priorität haben? Auch bei Mitarbeitenden habe ich das in der Vergangenheit erlebt: Aufgaben, bei denen es etwas Neues zu entwickeln gilt, etwas neu zu ordnen oder zu konzipieren ist, haben oft motivierenden Charakter. Ohne diese Aufgaben könnte man wahrscheinlich gut auskommen, wenn alles so bleiben soll, wie es ist. Und genau deshalb darf man ihren Wert nicht unterschätzen. Genau in diesen Aufgaben steckt die Innovationsfähigkeit von Unternehmen, die Kreativität und die Motivation. Denn es gibt keinerlei Druck. Hier darf etwas entstehen, hat etwas Zeit und Raum. Kreativität und Innovation kann man nicht erzwingen. Denn je mehr Druck da ist, desto weniger kann entstehen. Insofern ist es wichtig, solche To Dos nicht vom Radar zu verlieren, sondern ihnen dieselbe Aufmerksamkeit zu geben, wie den anderen Themen, die uns und auch anderen oftmals dringender und wichtiger erscheinen. Denn sie haben großes Potenzial für einen Motivationsschub.

Und was das Sommerloch betrifft, so  kann ich euch nur empfehlen, euch auch im Herbst mal ein „Sommerloch“ zu gönnen, mit druckfreier Zeit zum Durchhängen, für neue Ideen. Motivationsschub garantiert.

Und sollte es sich jetzt gerade nicht ausgehen: der nächste Sommer kommt bestimmt. ;-)

Damit Leadership „nicht für die Fische“ ist…

Wenn bei uns Menschen jemand die Führung übernimmt, hat das meist mit seiner oder ihrer Persönlichkeit zu tun. Meist sind die, die führen durch eine starke Persönlichkeit bestimmt, die entweder Autorität oder Macht genießt – oder beides. Dazu kommt, dass die, die führen auch von denen, die ihnen folgen, anerkannt werden müssen, um wirksam zu sein. In einer Gruppe oder einem Team gibt es demnach häufig eine Person, die für Entscheidungen die Verantwortung übernimmt und sich – schlimmstenfalls – schützend vor die Gruppe stellt. Wenn eine Gruppe gemeinsam hinter einer Entscheidung oder Vereinbarung stehen soll, dann benötigt es die Einbindung, den Meinungsaustausch und das Gehörtwerden jedes einzelnen Team- oder Gruppenmitglieds.

Geteilte Verantwortung

Das, was bei uns Menschen langsam in Form von Agilität und selbstorganisierenden Systemen Einzug in die Arbeitswelt hält, ist im Fall der Fische überlebensnotwendig und vollkommen natürlich. Kein Fisch hat im Schwarm die Alleinverantwortung. Denn obwohl es in einem Fischschwarm ebenso klar erkennbare Führende wie Folgende gibt, kann man beobachten, dass sich Fischschwärme bei Bedrohungen neu formieren und organisieren: die Verantwortung wird geteilt. Dabei tauschen die Führenden mit den Geführten immer dann die Rollen, wenn es sinnvoll ist und einen Nutzen bringt. Das gilt vor allem für Situationen, in denen die Schwärme bedroht und gefährdet sind. Für die reine Futtersuche braucht es diese Form der Reorganisation nicht. Die Fische sind dabei am effektivsten, wenn sie ihren individuellen Rollen treu bleiben können.

Schwarmfische regulieren außerdem automatisch ihre Distanz zum Nachbarn. Wird diese zu groß, schließen sie sofort auf. Wird sie zu klein, passen sie ihre Geschwindigkeit an die anderen an. Ein spielerisch fließender Vorgang.

Intelligenter Schwarm

Untersuchungen zeigen, dass sich Fische die Schwarmintelligenz zu Nutze machen, um einander leichter und effizienter zu steuern. Dazu gibt es mehrere wissenschaftliche Untersuchungen, wie z.B. die von Jens Krause am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. Er hat sich mit der Entscheidungsfindung im Fischschwarm auseinandergesetzt und setzte dabei einen Roboterfisch ein, der seinen Fischprobanden sehr ähnlich sah. Gesteuert von Menschenhand, hatte der Roboter die Aufgabe, den Fischschwarm in seinen Entscheidungen zu beeinflussen. Der Roboterfisch sollte die Fische durch sein abweichendes Verhalten dazu zu bringen, sich von der Futterquelle zu entfernen. Die aufgezwungene Verhaltensänderung funktionierte mit zwei Fischen wunderbar, jedoch nicht mehr mit einem Schwarm von 10 und mehr Fischen.

Je größer der Schwarm, desto stabiler also die Entscheidungen: damit verhindern die Fische, dass die Fehlentscheidung, die möglicherweise durch die äußerliche Beeinflussung eines oder zweier Kameraden zustande kommt, den ganzen Schwarm ins Verderben führt.

Präsenz

Auch bei uns Menschen hat die Größe und Stabilität der Gruppe oder des Teams einen Einfluss auf die Art und Weise, wie Entscheidungen getroffen werden. Dazu kommen allerdings noch zwei wesentliche Faktoren: Präsenz im Jetzt und Zeit. Zeitdruck wirkt sich kontraproduktiv auf stabile Gruppenentscheidungen aus. Unter Zeitdruck kann es passieren, dass wir schon mehr im nächsten Termin oder den nächsten Aufgaben sind, als im Jetzt. Präsent im Jetzt zu sein und sich auf andere einzustellen, mit der Dynamik ein Stück weit “mitzuschwimmen” ist eine Voraussetzung, um zu nachhaltig gelebten Gruppenvereinbarungen zu kommen. Jeder einzelne ist dabei gefragt, in die Eigenverantwortung zu gehen und in diesem Sinne Leadership zumindest für sich selbst zu übernehmen.

Es ist also essenziell, sich Zeit zu nehmen, um ein gemeinsames Verständnis von Inhalten, Begrifflichkeiten und Sachlagen herzustellen, damit die Entscheidung von allen WIRKLICH verstanden und mitgetragen werden kann und damit nachhaltig ist. Und das ist meist schwer, wenn enge Zeitkorsetts vorgegeben sind. Dann braucht es eine straffe Struktur, aber das an einer anderen Stelle in diesem Blog.

Im Fluss

Wenn Leadership “nicht für die Fische” sein soll, ist es wichtig, einfühlend und präsent in Gruppenprozesse zu gehen, die Geschwindigkeit anderer wahrnehmen und sich darauf auszurichten, sich manchmal anzupassen, im Fluss mit dem, was ist, zu sein. Nur die Meinung, Sachlagen und Inputs derer zu hören, die lauter als andere und schnell in ihren Wortmeldungen, persönlichen Entscheidungen und Lösungen sind, bergen die Gefahr, andere in der Gruppe inhaltlich und vor allem emotional zu verlieren. Und wenn das passiert, ist es wohl nachvollziehbar, dass Entscheidungen und Vereinbarungen nicht tragfähig sind. Und somit die investierte Zeit und eingebrachte Energie dann wohl “für die Fische” war.

Wer nimmt den Schwarzen Peter?

Die Redewendung „jemandem den Schwarzen Peter zuschieben[1] bedeutet bekanntermaßen, eine Schuld, Unannehmlichkeiten oder ein unerwünschtes Thema zu übertragen oder gar abzuwälzen. Diese Redewendung lässt aber auch den Eindruck zu, dass wir möglicherweise keine Wahl haben, wenn wir Schuld für etwas zugesprochen bekommen.

Erst kürzlich haben wir in einem Unternehmen erlebt, dass für einen internen Prozess, der nicht eingehalten wurde, die Schuldigen, die “schwarzen Schafe” dafür gesucht wurden. Also jene, die sich Freiheiten herausnehmen würden, die andere nicht hätten.
Was macht Schuld mit uns und was kann sich ändern, wenn wir mit ihr bewusster umgehen?

Schuld und Handlungsmöglichkeiten.

Wenn wir vom Begriff der Schuld sprechen, dann kommen wir automatisch sofort zur Freiheit des Handelns. Denn Schuld setzt voraus, dass wir Freiheit in unseren Handlungsmöglichkeiten empfinden: ob wir sie uns zuschieben lassen und nehmen, oder nicht.

Wie mit Schuld umgegangen wird – was eine Holschuld und was eine Bringschuld darstellen kann – ist auch kulturell sehr verschieden. Während wir in Europa stark davon geprägt sind, dass der Staat vieles für die Allgemeinheit regelt und der Bürger sich nicht in der Verantwortung sieht, dem Staat/ der Allgemeinheit etwas zurückzugeben, sieht das zum Beispiel in den USA anders aus. In Amerika geht das Individuum davon aus, dass es sich um sich selbst kümmern muss bzw. dass Unternehmer*innen beispielsweise viel häufiger Stiftungen gründen um der Allgemeinheit etwas zurückzugeben, als das in Europa der Fall ist. Hierzulande haben Stiftungen vor allem den Nutzen, ein steuerschonendes Finanzinstrument zu sein.

Moral?

Im Deutschen haben wir nur wenige Begrifflichkeiten für „Schuld“. Während es zum Beispiel im Englischen oder auch Französischen die Unterscheidung zwischen debt und guilt gibt, machen wir begrifflich im Deutschen keinen Unterschied. Der Begriff ist in der deutschen Sprache auch um einiges moralischer aufgeladen, als in anderen Sprachen.

Während es Systeme wie das Bankwesen gibt, die auf dem Konzept materieller Schuld aufgebaut sind, gibt es auch noch die gefühlte Schuld, die einen innerlichen, sehr persönlichen Prozess darstellt. Dieser ist von außen nicht beeinflussbar. Denn ob und wie sehr sich jemand schuldig fühlt, hat viel mit dem eigenen Weltbild und den eigenen Glaubenssätzen zu tun. Auch die Frage, wie lange wir im Gefühl „schuld zu sein“ verhaftet bleiben, bestimmt, wie frei wir uns im Umgang mit Schuld fühlen und welche Handlungsmöglichkeit wir wahrnehmen.

Durch Schuld entsteht eine Disbalance. Sich zu ent-schuldigen hat dabei die Funktion, einen sozialen Ausgleich zu schaffen: es gab eine Friktion und durch ein Eingeständnis passiert ein Ausgleich.

Sündenbock.

Vor allem aus der Religionsgeschichte ist der Begriff der Schuld stark negativ aufgeladen. Es wird einfacher, wenn wir Schuld durch Verantwortung ersetzen: denn es macht einen Unterschied, ob wir fragen, wer an einer Sache schuld ist oder wer für eine Sache verantwortlich ist.

Die jüngste Datenaffäre um Facebook ist ein schönes Beispiel für die Art und Weise, wie wir als Gesellschaft mit Schuld oder Verantwortung umgehen. Wieviel leichter ist es oft, dem vermeintlich (!) Offensichtlichem den Schwarzen Peter zu zuschieben und nicht dahinter zuschauen, was vielleicht das Thema ist? Wenn wir bereit sind auch andere Sichtweisen einzunehmen, relativiert das oftmals die eigentliche Schuldfrage (siehe auch diesen Artikel hier.)

Was können wir also tun um achtsamer mit dem Schuldbegriff umzugehen? Wir können uns selbst beobachten, welchen Stellenwert wir der Schuld geben. Durch mehr Bewusstheit darüber können wir unseren Umgang damit verändern. Dabei können folgende Fragen hilfreich sein:

  • Wem gebe ich die Schuld und wofür? Und wie spreche ich es an?
  • Was würde sich verändern, wenn ich die Sache aus dem Blickwinkel des Anderen und aus seiner Verantwortung heraus betrachte?
  • Ist es mir eine Genugtuung, einen Schuldigen zu finden?
  • Nehme ich leicht Schuld auf mich und fühle ich mich oft als Sündenbock?
  • Wie leicht fällt es mir, mich aufrichtig zu ent-schuldigen und einen Fehler einzugestehen?

Und für den Schwarzen Peter bedeutet das: wir haben immer die Freiheit, zu entscheiden ob wir ihn uns zuschieben lassen und nehmen, oder nicht. Oder wofür wir ihn – manchmal vielleicht auch leichtfertig – anderen umhängen.

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[1] Das Spiel “Der Schwarze Peter” geht wahrscheinlich auf den deutschen Räuber Hannes Brückler, genannt Schinderhannes, zurück, der das Spiel während eines Gefängnisaufenthalts um 1811 erfand. Der Name bezieht sich wahrscheinlich auf seinen Komplizen Johann Peter Petri zurück, der unter dem Namen „Schwarzer Peter“ bekannt war. (Quelle Wikipedia)

Fotocredit: Fotolia #127107111, stockpics

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