Integrität

Ein Gastbeitrag des Wiener Wirtschaftsphilosophen Dr. Klaus Neundlinger, inspiriert durch ein Wiener Leadership Breakfast zum Thema „Integrität“ und den Texten und Fragen von Annette C. Baier, einer neuseeländischen Philosophin, über Vertrauen: wie kann eine Vertrauensbeziehung vor dem Hintergrund von Machtungleichgewichten entstehen (Eltern-Kinder, Männer-Frauen, große und kleine Staaten in der UNO)?

Integrität

Wie viel an Berührung braucht es, um eine menschliche Beziehung zu leben? Und wie viel an Distanz muss geschaffen werden, damit der andere seine Autonomie, seine Würde, auch wirklich gestalten kann? „Integer“ kommt vom lateinischen Wort „tangere“, berühren. Wer aufgrund seines Handelns, seiner Person, der Ausübung seiner oder ihrer Funktion als integer gilt, ist „unantastbar“. Er oder sie lässt sich nicht moralisch bzw. finanziell „korrumpieren“, hält problematischen Einflüssen gegenüberstand. Ob im Berufsleben oder im familiären Umfeld bzw. in Freundschaften: Selbständig zu entscheiden, ohne manipuliert zu werden oder unbegrenzt den Interessen anderer den Vorzug geben zu müssen, ist ein grundlegender Wert. Wir können uns kein Leben in Würde vorstellen, das nicht auf eigenen Entscheidungen beruht, auf einem autonomen Gestaltungsspielraum.

In den Spiegel schauen können

Aber wie kommen wir zu dieser Integrität, zur Unverletzbarkeit der eigenen Person hinsichtlich der Lebensplanung und der Verwirklichung im Beruf? Wir müssen den Umgang mit unserer Freiheit zunächst einmal lernen. Und das heißt, dass unsere Integrität nicht von Beginn an gegeben ist, sondern sich gerade über die Beziehung mit anderen entwickelt. Als Kinder basteln wir uns unsere „Integrität“ erst zusammen: über die Beziehung mit den Eltern, Geschwistern, Betreuerinnen, Lehrern. Dass wir als Person eine Einheit ergeben, lernen wir aus unserem Spiegelbild – und manchmal werden wir später an diese Erfahrung erinnert, wenn wir uns in Situationen befinden, wo wir uns selbst oder andere uns fragen, ob wir uns noch in den Spiegel schauen können.

Eine Position der Perspektiven

Wir müssen uns also von den andern abgrenzen, doch das Lernen wir nur im Umgang mit ihnen. Die Frage ist also, wie Beziehungen beschaffen sein müssen, dass sie Integrität fördern und nicht behindern. Wie viel an Berührung braucht es, und wie viel Distanz? Damit ist ein ständiger Prozess der Nähe oder Ferne angedeutet, ein in konkreten Beziehungen sich vollziehender Entwicklungsprozess. Dieser gelingt dann, wenn ich imstande bin, die Perspektiven und Einstellungen anderer zu integrieren. Es ist also ein ständiges Hin und Her zwischen Integrität und Integration. Wie viel Freiräume in Form von Ansporn und Vertrauen sollen Eltern ihren Kindern zugestehen, und wo sollen sie unterstützen oder klare Grenzen setzen? Wie gehen wir in Freundschaften mit diesem Thema um? Und im Beruf, in der Beziehung zu Kolleginnen und Kollegen, zwischen Führungskraft und Mitarbeitern? Wer integer ist, ist imstande, Position zu beziehen. Für sich zu sprechen. Zu entscheiden. Und doch wird ihm oder ihr das besser gelingen, wenn in diese Position die Perspektiven anderer eingegangen, wenn sie darin berücksichtigt sind.

Die Texte von Annette C. Baier sind in den Tanner Lectures und in ihrem Buch „Moral Prejudices“ erschienen.  https://tannerlectures.utah.edu/_documents/a-to-z/b/baier92.pdf

Fotocredit: Fotolia #191851654  Urheber: patpitchaya

Neues entsteht, wenn man den gewohnten Betrachtungspunkt verlässt…

…oder warum der 1. Wiener Leadership Kongress nun am 5. November stattfindet.

Am Anfang stand die Idee, einen Kongress zum Thema „Neues Arbeiten“ in Wien zu veranstalten. Inspiriert durch eine Veranstaltung in Köln im Herbst 2014 hab ich mich daran gemacht und ein Konzept geschrieben, Kosten kalkuliert und nach möglichen, interessanten MitgestalterInnen gesucht. Möglichst interaktiv und anders sollte die Veranstaltung werden, das war und ist die Idee.
Im Jänner 2015 hab ich dann mit der Umsetzung begonnen. Schnell war die Webseite online und die ersten KollegInnen aus Deutschland und der Schweiz an Bord geholt, die meinen Anspruch, etwas ganz anderes zu machen, unterstützten, ja sogar dediziert einforderten. Es sollte nicht nur ein Kongress werden, sondern eine Bewegung. Der gemeinsame Spirit dafür war von Anfang an da.
In die Zukunft spüren und dadurch lernen um heute schon etwas anders zu machen stand für uns im Zentrum. Eine sinnstiftende Arbeitsweise, herzoffene Kommunikation auf Augenhöhe zwischen allen Beteiligten (Unternehmen, Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten), Vertrauen und Eigenverantwortung im Unternehmen statt Kontrolle, Mitbestimmung der Mitarbeiter in der Unternehmensführung und aus all dem resultierend der betriebswirtschaftliche Erfolg: um diese und ähnliche Themen sollte es sich drehen.

Unser Anliegen war und ist es, dass die Menschen, die zu dieser Veranstaltung kommen, aus der gewohnten Konsumentenrolle (wie man sie so oft von Businessveranstaltungen kennt) zu holen, sie erleben zu lassen, was ein Paradigmenwechsel bedeutet und sie zur persönlichen Umsetzung zu inspirieren und anzuleiten.
Also begaben wir uns mit vollem Elan in die Phase des Veranstaltungsdesigns: die ursprüngliche Idee von Impulsen und Workshops als Programm war schnell bei Seite geschoben und der Anspruch an uns, in der konzeptionellen Phase selbst zu erleben, was wir unseren Teilnehmenden näherbringen wollten, war geboren. In wöchentlichen skype-Sessions gingen wir gemeinsam durch einen co-kreativen und partizipativen Prozess mit allen Höhen und Tiefen, mit Inspirationslöchern und Motivationshochs, mit gefühlter Stagnation und Ideenfülle.
Parallel dazu waren wir beschäftigt auch in der Kommunikation nach außen Fuß zu fassen, wahrgenommen zu werden, auf den Kongress aufmerksam zu machen. Als No-Name, ohne Sponsoren, ohne großes Budget für Pressearbeit und ohne klingenden Namen kam uns einiges an Interesse und gleichzeitig auch an abwartender Haltung entgegen. Und ich merkte, dass wir in unserer Botschaft nach Außen noch klarer werden mussten. Schritt für Schritt schälte sich über die Wochen das Konzept immer deutlicher heraus und damit wurde auch die Botschaft nach außen konkreter. Anmeldungen trudelten ein, das Projekt begann sich auch in der Außenwahrnehmung zu bewegen…Freude!

Ich hatte mir in meiner ursprünglichen Planung bis Mitte Mai gegeben um zu entscheiden, ob sich die Veranstaltung tragen würde und wir eine kritische Masse an Anmeldungen erreicht hätten, mit der es auch Sinn machen würde den Kongress – der ja eigentlich nun ein Bar Camp ist – stattfinden zu lassen. In der ersten Mai-Woche wünschte ich mir ein Zeichen, um die Entscheidung klar treffen zu können. Ich fühlte mich hin- und hergerissen zwischen „ich MUSS die Veranstaltung stattfinden lassen, wie sieht denn das sonst aus“ bis zu „der Erfolg der Veranstaltung und unserer Initiative hängt NICHT von diesem Termin am 12. Juni ab“. Irgendwann spürte ich, dass ich Gefahr lief, die Freude an diesem Projekt zu verlieren, weil ich mich mit diesem Termin selbst zu sehr unter Druck setzte. Obwohl ich spürte und wusste, dass sich bereits so viel in diesen letzten Monaten bewegt hatte, fand ich es schwierig, los zulassen…

Also wünschte ich mir ein Zeichen, weil der Druck zu groß wurde. Ich vertraute, dass das Richtige passieren würde. Und ich bekam nicht nur ein Zeichen, sondern vier! ;-) Diese Zeichen waren Interessensbekundungen an einer Teilnahme – allerdings nicht für diesen Termin, weil zu kurzfristig erfahren -, Anfragen von und Termine mit namhaften Stakeholdern, die erst nach dem ursprünglich geplanten 12. Juni passieren würden, Interesse einiger Magazine, die uns nicht mehr in den Redaktionsplan bekamen, weil zu spät…
Plötzlich konnte ich für mich erkennen, warum es richtig wäre, die Veranstaltung auf November zu verlegen. Mein Blickpunkt hatte sich mit einem Mal verändert und ich sah noch so viel mehr, was möglich war. Die Wichtigkeit des 12. Juni trat in den Hintergrund, das Datum war nicht mehr essentiell, hier ging es um viel mehr. Es ging darum, die beste Lösung für das Ganze zu finden und nicht den Fokus auf (meine?) Einzelinteressen zu legen. Mit dieser Erkenntnis und dem Vertrauen war die Freude und Motivation sofort wieder da.

Nachdem die Veranstaltung bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht kostendeckend gewesen wäre und ich die Aufmerksamkeit von außen nutzen möchte um etwas „G‘scheites“ auf die Beine zu stellen, entschloss ich mich dann – mit Rücksprache meiner MitgestalterInnen -, die Veranstaltung auf 5. November zu verschieben, mit einem zusätzlichen Impulsabend am 4. November. Es fühlt sich einfach stimmig und gut an, weil nun noch Zeit und Raum für andere Aktivitäten bleibt, die im Rahmen unseres gemeinsamen Prozesses in diesem Frühling entstanden sind, für die aber bis 12. Juni keine Zeit mehr gewesen wäre.

So wird es beispielsweise ab Juli regelmäßige Wiener Leadership Breakfasts und Wiener Leadership Nights geben, wo wir uns mit dem Thema „Neues Arbeiten“ in kleinen Dosen auseinandersetzen werden. Die Termine und Details (laufend ergänzt) dazu sind auf der Eventseite der Wiener Leadershipkongress-Webseite zu finden.

Otto Scharmer schreibt in seinem Buch „Theory U“, dass Neues entsteht, wenn man den gewohnten Betrachtungspunkt verlässt. Genau das ist für mich passiert, als ich los ließ. Auch, wenn ich es vorher vom Kopf her wusste: plötzlich konnte ich auch spüren, dass meine und unsere Freude essentiell für das Gelingen dieses Projekts ist und das Einhalten eines Termins auf Biegen und Brechen – aus „Ego-Gründen“ – nichts mit dem Erfolg einer Initiative zu tun hat. :-D

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